Streitfall Bauakademie in Berlin: Warum man den Bau ökologisch rekonstruieren sollte

Harald Bodenschatz ist ehemaliger Professor für Architektursoziologie. Hier erklärt er, warum er sich für die Rekonstruktion von Schinkels Meisterwerk einsetzt. Ein Gastbeitrag.

Hier sollte die Bauakademie rekonstruiert werden: am Schinkelplatz in Berlin-Mitte.
Hier sollte die Bauakademie rekonstruiert werden: am Schinkelplatz in Berlin-Mitte.Benjamin Pritzkuleit

Weltweit gibt es nur wenige Gebäude, die einen doppelten Kultstatus errungen haben: als Gebäude wie als Institution. Das Bauhaus in Dessau gehört dazu, und auch die Bauakademie in der Berliner Mitte. Beiden Bauten ist die hochgeschätzte Institution verloren gegangen.

Das Bauhaus gibt es noch als Gebäude, die Bauakademie nicht mehr, sie gibt es nur noch als Versprechen. Dazu kam – im Fall der Bauakademie – eine weitere, oft vergessene dritte kultische Schicht: der städtebauliche Rang. Seit ihrem Bau hat die Bauakademie freilich ein hartes Auf und Ab erlebt – ein Spiegel der deutschen Geschichte. Und heute? Braucht Berlin wieder einen roten Kasten, wie die Bauakademie gerne genannt wurde?

Ausgangspunkt: Einhegung des Schlosses

Die 1832–36 errichtete Bauakademie war der Schlussstein einer der bedeutendsten städtebaulichen Figuren der Berliner Geschichte. Sie vollendete die von Karl Friedrich Schinkel entworfene neue Berliner Mitte, die mehrere Solitärbauten des Architekten umfasste: das Alte Museum, den damals umgebauten, noch kleinen, bescheidenen Dom, die Friedrichswerdersche Kirche und eben die Bauakademie.

Eine historische Aufnahme des Werderschen Marktes in Berlin-Mitte.
Eine historische Aufnahme des Werderschen Marktes in Berlin-Mitte.Berlin-Mitte-Archiv

Diese Bauten schufen außerordentliche Stadträume: den Lustgarten, den Werderschen Markt und den Schinkelplatz, einen dreieckigen, 1837 nach Plänen des berühmten Gartenarchitekten Joseph Peter Lenné geschaffenen Platz am Wasser, eine städtebauliche Rarität.

All diese Schinkelbauten umkreisten das Schloss, stutzten dessen Kommandorolle, hegten es regelrecht ein. Ja, die Bauakademie war auch ein Zeichen der Emanzipation der aufgeklärten preußischen Bauverwaltung, der auch Schinkel angehörte und die ebenfalls im Gebäude der Bauakademie residierte. Das Bauwerk selbst unterstrich unübersehbar diese fortschrittliche Botschaft: Seine Fassade demonstrierte den absoluten Anspruch auf Baukunst – mit starken ornamentalen Botschaften, ohne jeden Bezug auf Kirche und König. Und die Haupteingänge der Bauakademie öffneten sich nach Norden hin, nicht in Richtung Schloss.

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Foto: Harald Bodenschatz
Zur Person
Prof. Dr. Harald Bodenschatz, geb. 1946 in München, Sozialwissenschaftler und Stadtplaner, 1995–2011 Universitätsprofessor für Planungs- und Architektursoziologie an der TU Berlin, jetzt assoziierter Professor des Center for Metropolitan Studies der TU Berlin und Mitglied des Bauhaus-Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur und der Planung an der Bauhaus-Universität Weimar. Autor einer Vielzahl von Publikationen zu historischen und aktuellen Fragen des Städtebaus, darunter auch zu Berlin. Kurator der Ausstellung „Unvollendete Metropole. 100 Jahre Städtebau für Groß-Berlin“ (2020/22). Mitgliedschaft seit 1985 in der Stadtplanerliste der Architektenkammer Berlin, zudem Mitglied des AIV, BDA, DASL, DWB, GSU, IPHS, SRL.

Auch im Inneren wurden die Werte Sparsamkeit, Schlichtheit und Schönheit zelebriert – mit einer äußerst flexiblen Stützrasterstruktur. Das erlaubte eine bunte Mischung: im Erdgeschoss zwölf Läden, im ersten Obergeschoss die Bauschule, im zweiten die Bauverwaltungen, dazu noch Wohnräume und ein Archiv. Nach dem Tod Schinkels 1841 beherbergte der Bau zudem das Schinkelmuseum, den Ursprung des heutigen Architekturmuseums der TU Berlin.

In der Kaiserzeit: zu wenig imperial!

Die Bauakademie war ein Leuchtturm des Berliner Bauens im 19. Jahrhundert. Bis zur Kaiserzeit. Die Schinkelsche Zentrumslandschaft erschien nun nicht mehr imperial genug. Der alte, kleine Dom musste 1893 einem mächtigen, neuen Dom weichen, der auf sein näheres Umfeld keine Rücksicht mehr nahm.

Zwischen Schloss und Bauakademie entstand 1897 ein protziges Denkmal für Kaiser Wilhelm I. Die Bauakademie selbst galt nicht mehr als standesgemäß. Pläne zu ihrer Verschiebung wurden erwogen, ja Stimmen für den Abbruch wurden laut. In dieser Zeit hatte sich die Bauschule aus dem Gebäude bereits verabschiedet. Sie ging in der neuen, 1879 gegründeten Technischen Hochschule in Charlottenburg auf.

Eine historische Aufnahme der Bauakademie
Eine historische Aufnahme der BauakademieBLZ

Doch was geschah mit dem Gebäude der Bauakademie? Es wurde weiter genutzt – seit 1885 etwa durch eine Messbild-Anstalt. Seit 1920 bot sie der wohl bedeutendsten politikwissenschaftlichen Einrichtung der Weimarer Republik einen würdigen Sitz: der neuen Hochschule für Politik, einer Vorgängerinstitution des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin. Hier bewies die flexible Rasterstruktur eindrucksvoll, was nachhaltige Gebäude leisten müssen: Raum zu bieten für wechselnde Einrichtungen.

In der DDR: Wiederaufbau

Zum Kriegsende, im Februar 1945, wurde die Bauakademie teilzerstört. Ihr Wiederaufbau begann Anfang der 1950er-Jahre nach Plänen des bekannten Architekten Richard Paulick. Schon 1951 war eine Institution „Deutsche Bauakademie“ gegründet worden, die das Baugeschehen der DDR maßgeblich beeinflusste. In dieser Zeit stand die herausragende Bedeutung des Schinkelbaus außer Zweifel.

Die DDR entschied sich dazu, das Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin zu rekonstruieren.
Die DDR entschied sich dazu, das Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin zu rekonstruieren.Jens Kalaene/dpa

Damals wurde die Bauakademie als Teil eines größeren städtebaulichen Zusammenhangs projektiert, der die Rekonstruktion vieler (teil-)zerstörter Bauten des östlichen Abschnitts der Allee Unter den Linden umfasste: Zeughaus, Humboldt-Universität, Oper, Kronprinzenpalais, aber auch die Schinkelbauten Altes Museum, Friedrichswerdersche Kirche und Bauakademie. Dagegen wurde das Schloss abgebrochen. Aus der Sicht der Herrschenden in der DDR war das kein Widerspruch.

… und Abriss

Ende der 1950er-Jahre wurde die Berliner Mitte jedoch neu ausgerichtet – von Westen nach Osten. Die fast fertige Bauakademie musste 1962 dem Neubau des DDR-Außenministeriums weichen. Damit entstand schrittweise eine radikal veränderte städtebauliche Großfigur, die sich nicht mehr an der Allee Unter den Linden orientierte und vom Alexanderplatz bis zum Marx-Engels-Platz (heute Schloßplatz) reichte.

Außenministerium der DDR, ein Foto aus dem Jahr 1988.
Außenministerium der DDR, ein Foto aus dem Jahr 1988.NBL Bildarchiv/imago

Nach dem Abriss der Bauakademie versprachen die Verantwortlichen einen Wiederaufbau an anderer Stelle. Ein erstes Versprechen, das nicht eingehalten wurde. Einzig ein Portal der Bauakademie fand in der 1969 bis 1972 errichteten Schinkelklause eine Wiederverwendung. Kaum ein Besucher der Mitte bemerkt an diesem abgelegenen Ort eines der schönsten und aussagekräftigsten Eingangsportale, das Berlin heute zu bieten hat.

Nach 1989: Wiederaufbau I

Nach der Wiedervereinigung kam der Marx-Engels-Platz mit all seinen Bauten – Außenministerium, Staatsratsgebäude, Palast der Republik – ins Wanken. Ein Totalabbruch schien wahrscheinlich, beschränkte sich dann aber, nach heftigen Protesten, auf das Außenministerium. Dieser Bau, obwohl baulich intakt, wurde vor allem aus städtebaulichen Gründen 1995/96 abgebrochen – ohne großen Protest.

Der Palast der Republik der DDR.
Der Palast der Republik der DDR.imago

Wiederum wurde versprochen: Nun bauen wir die Bauakademie wieder auf, als historische Rekonstruktion. Die Zustimmung dafür war riesengroß, auch von vielen, die sich sonst gegen historische Rekonstruktionen wandten. Gleich mehrere Vereine engagierten sich in dieser Frage: der „Verein zum Wiederaufbau der Schinkelschen Bauakademie“, der „Förderverein Bauakademie“ und später die „Internationale Bauakademie“. Doch dann begannen in Berlin die lähmenden Stagnationsjahre, die sich bis weit nach der Jahrtausendwende hinzogen.

Aber ein wenig Wiederaufbau gab es doch: 2001/02 wurden die Nordostecke als „Musterfassade“ und ein Saal als „Musterraum“ wiedererrichtet. Es folgte 2004 eine durch ein Gerüst getragenes Großposter, das die Fassade der Bauakademie nachbildete. 2005/06 legte das Land Berlin über einen Bebauungsplan die Grundform einer künftigen Bauakademie fest. 2007/08 wurde schließlich der Schinkelplatz durch die Gartendenkmalpflege rekonstruiert.

Der Wiederaufbau des Schinkelplatzes in Berlin.
Der Wiederaufbau des Schinkelplatzes in Berlin.Benjamin Pritzkuleit

Wiederaufbau II

Richtig in Schwung kam der Wiederaufbau erst im Jahr 2016, als der Deutsche Bundestag beschloss, 62 Mio. Euro für die Wiedererrichtung der Bauakademie freizugeben. Für die historische Rekonstruktion, nicht für irgendeinen Neubau, wie ein jüngst im Auftrag des Fördervereins Bauakademie erstelltes Rechtsgutachten betonte. Das dritte Versprechen! Nun vergab das Land Berlin das Bauakademie-Grundstück an den Bund.

Jetzt wurde es wirklich ernst, und, wie konnte es in Berlin anders sein, sogleich bildeten sich kulturkämpferische Lager für und gegen eine Rekonstruktion. Dazu kam über die neue, 2019 durch den Bundesstag gegründete Bundesstiftung Bauakademie, den künftigen Nutzer des wieder zu errichtenden Gebäudes, ein weiterer Anspruch: Der Neubau müsse ihren Auftrag, nachhaltiges Bauen zu fördern, gestalterisch zum Ausdruck bringen – als ökologisches Modellprojekt.

Das war ein gewichtiges Argument, das nicht zu ignorieren war. Die Gegner einer Rekonstruktion sahen diesen Anspruch als Unterstützung ihrer Position. Die Befürworter waren gezwungen, ihre Argumentation anzureichern – etwa mit dem Hinweis auf die Möglichkeit eines Wiederaufbaus der Fassade mit gebrauchten Ziegeln und die Verwendung anderer Baustoffe im Inneren.

Der Fernsehturm, das Humboldt-Forum im Berliner Schloss und die Ecke der Schinkel-Bauakademie im Vordergrund
Der Fernsehturm, das Humboldt-Forum im Berliner Schloss und die Ecke der Schinkel-Bauakademie im Vordergrundimago

Ökologische Rekonstruktion

Schnell zeigte sich, dass die Fokussierung allein auf Baumaterialien zu kurzatmig war. Natürlich muss heute jedes neue Gebäude und erst recht die Bauakademie nachhaltig errichtet und genutzt werden. Aber ein künftiger Bau darf nicht eines der vielen ökologischen Modellhäuser werden, die bald wieder veraltet sind. Auch geht es nicht darum, ausschließlich den Raumbedarf der jetzigen Stiftung abzubilden, sondern ein Gebäude zu schaffen, das über lange Zeit Raum für unterschiedliche Nutzungen bietet. Vor allem aber braucht Berlin an dieser Stelle keinen geschichts- und ortlosen Neubau, der überall in Berlin oder anderswo stehen kann.

Die Bauakademie war ein Meilenstein der Berliner Architekturgeschichte. Und sie war Teil der einzigartigen, von Schinkel projektierten Zentrumslandschaft, die jetzt repariert werden kann. Mit diesem Bau gewinnen nicht nur der Schinkelplatz und der Werdersche Markt ihre Konturen, sondern über das Alte Museum wird erneut das rekonstruierte Stadtschloss eingehegt. Dazu kommt der Kontrast zum nahe gelegenen künftigen Einheitsdenkmal.

Erst eine Rekonstruktion wird die außerordentlich reiche Geschichte des Ortes wieder erfahrbar und damit erinnerbar machen. Denn an Bauten entzündet sich die gesellschaftliche Erinnerung, nicht an Büchern. Die Erinnerung an die Bau-, Umbau- und Nutzungsgeschichte, an die Wissenschaftsgeschichte. Dazu gehört übrigens auch ein spürbarer Hinweis auf das verschwundene Außenministerium der DDR.

Ohne die Rekonstruktion des roten Kastens gehen all diese Berliner Besonderheiten und Geschichten verloren. Das sahen nicht nur die Akteure des Bundestags im Jahr 2016 so, sondern auch eine große Mehrheit der Bundesbürger, wie eine Forsa-Umfrage gezeigt hat. Auch für die Bundesstiftung wäre ein solcher Bau ein großer Gewinn. Mindestens dreimal wurde die Rekonstruktion des Baus versprochen. Nun sollte sie realisiert werden, als Modellprojekt einer ökologischen Rekonstruktion.

Harald Bodenschatz ist Professor an der TU Berlin und Mitglied des Architekten- und Ingenieur-Vereins zu Berlin-Brandenburg. Der Autor engagierte sich in den 1990er-Jahren gegen den Abriss des Staatsratsgebäudes und des Palasts der Republik.

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