Das alte, nicht herrschaftliche, volkstümliche Berlin findet sich heute nicht mehr im Bereich der auf das Mittelalter zurückgehenden Altstadt. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und des Nachkriegsstädtebaus bildet die barocke Stadterweiterung im Norden des Berliner Zentrums den letzten Berliner Stadtteil, dessen städtebauliche Strukturen noch deutlich an das alte, vorindustrielle Berlin erinnern. Diese Stadterweiterung setzt sich aus der Spandauer Vorstadt und der noch verbliebenen westlichen ehemaligen Königstadt, der ältesten berlinischen Vorstadt, zusammen. Sie wird das Alt-Berlin von morgen sein.
Schon der Grundriß der Spandauer Vorstadt (einschließlich der westlichen Königstadt) läßt erkennen, daß dieser Stadtteil kein privilegiertes Gebiet war. Anders als in den fast gleichzeitig angelegten barocken Vorstädten Dorotheen- und Friedrichstadt wird man städtebauliche Kraftakte hier vergeblich suchen: Statt eines regelmäßigen Rastergrundrisses mit einigen wohlgeformten Plätzen ist im Norden des Zentrums ein unregelmäßiges, hierarchisches Straßensystems ohne ausgezirkelte Plätze zu sehen, das auf den ersten Blick eher mittelalterlich als barock anmutet.
Doch auch die Unregelmäßigkeit hat System: Ausgangspunkt der nördlichen barocken Stadterweiterung war der Bereich des Hackeschen Marktes, der sich um 1750 in seiner noch heute bekannten Form herausbildete. Auf diesem ursprünglich vor dem mittelalterlichen Spandauer Tor gelegenen Platz liefen einige Ausfallstraßen zusammen, bevor sie in die Stadt eintraten: die Straßen nach Spandau, Neuruppin/Hamburg, Rosenthal, Pankow/Schönhausen und Prenzlau. Die wichtigste dieser Straßen fällt schon durch ihre Breite ins Auge: die nach Spandau führende Oranienburger Straße. Ihr nächster Zielort gab dem Stadtteil den Namen: Spandauer Vorstadt. Der Hackesche Markt selbst wurde im "Neusten Conversations-Handbuch für Berlin und Potsdam" von 1834 abschätzig als einer "der kleinsten und unansehnlichsten öffentlichen Plätze unserer Hauptstadt" (S. 291) bezeichnet.
Im Norden wurde der Stadtteil bis 1867 durch die Akzisemauer abgeschlossen, die seit 1705 als Palisadenumwehrung auf Höhe der Linienstraße und nach 1780 auf Höhe der Neuen Torstraße verlief. Durchbrochen wurde diese Mauer, die der Steuererhebung diente und Soldaten an der Desertion hindern sollte, nur durch wenige Tore: das Oranienburger, das Hamburger, das Rosenthaler und das Schönhauser Tor. Damit war das System der Hauptstraßen festgelegt.
Die Erschließung des Stadtteils erforderte weitere, die Ausfallradialen vernetzende Straßen zweiter und dritter Ordnung, die weitgehend den vorstädtischen Spuren des Geländes folgten: alten Wegen und Parzellengrenzen. Die die Stadtteilsilhouette prägende Sophienkirche wurde seit 1712, ihr Turm 1732-34 im Zentrum des Gebiets zwischen der Ausfallstraße nach Hamburg und der Sophienstraße errichtet. Die beiden Plätze am Nordrand der barocken Vorstadt - der Koppenplatz und der heutige Rosa-Luxemburg-Platz - sind Produkte der Stadterneuerung des 19. und 20. Jahrhunderts: Der Koppenplatz entstand im Zuge der Umwandlung des aufgegebenen Armenfriedhofs, der Rosa-Luxemburg-Platz (früher Bülowplatz) nach der Kahlschlagsanierung im Scheunenviertel seit 1907.
Der fehlenden städtebaulichen Ordnungskraft der Barockzeit in diesem Gebiet entsprach dessen soziale Stellung im Gefüge der Gesamtstadt: Hier fanden weniger angesehene gesellschaftliche Gruppen ihren Wohnort, ihre Einrichtungen, ihren Begräbnisplatz - so Teile der jüdischen und der katholischen Bevölkerung sowie der Garnison. Die neue Synagoge (nach Plänen von Eduard Knoblauch), die jüdische Versorgungsanstalt, das jüdische Krankenhaus, der jüdische Begräbnisplatz, das katholische Krankenhaus, die Kaiser-Alexander-Kaserne, der Begräbnisplatz der Garnison, das Armenhaus und der Armenfriedhof (am späteren Koppenplatz) belegen schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts die kulturelle Vielfalt und soziale Position des Stadtteils.
Aus dieser Welt hob sich nur eine "vornehmere" Straße heraus: die großzügig angelegte, "auf beiden Seiten mit Linden besetzt[e]" (Nicolai 1786, S. 44) Oranienburger Straße, an die im Süden die Schloßlandschaft Monbijou grenzte - die einzige herrschaftliche Einrichtung von Gewicht im Norden des Zentrums. Hier ließ Kurfürstin Dorothea in einem ihr 1670 überlassenen Garten eine Meierei anlegen, deren Ländereien "bis an den jetzigen Schiffbauerdamm, und noch jenseits der Spree, bis auf die jetzige Dorotheenstadt" reichten (Nicolai 1786, S. 42). Der Schloßbau selbst begann im Jahre 1708 nach Plänen von Johann Friedrich Eosander von Göthe. Der nach Süden orientierten Schloßlandschaft gelang es allerdings nie, die nördlich gelegene einfache Vorstadt sozial zu überfremden. Im Gegenteil: Das Schloß blieb eine Enklave nördlich der Spree, die auch bei den Hohenzollern keine sonderliche Wertschätzung genoß.
An der Oranienburger Straße entfaltete sich vor allem die Post mit ihren Einrichtungen, ein Standort, der 1713 mit der Fertigstellung des Postillonhauses begründet wurde und 1875-81 durch den Bau des Postfuhramtes seine Krönung erhielt. Die relative Pracht der Oranienburger Straße kontrastierte mit der Enge und dem Elend insbesondere der nur sieben bis neun Meter breiten Gassen in der westlichen Königstadt, die seit dem späten 17. Jahrhundert zunächst als Scheunengassen dienten, seit Beginn des 19. Jahrhunderts aber in Goldgruben des Wohnungselends verwandelt wurden.
Im Zuge der Herausbildung einer City in der Kaiserzeit verschärften sich diese Situation. Im Vergleich zu den neuen Mietskasernen waren die einfachen Wohnungen in der vorindustriellen Stadt - das wird leicht vergessen - noch ungleich schlechter. Das hatte Auswirkungen auf die sozialen Verhältnisse. Kleinkriminalität, Prostitution, Großstadtvergnügen, Homosexualität waren verbreitete Assoziationen, die sich mit dem Gebiet nördlich des Zentrums verbanden. Hier fanden bald die ärmsten der zugewanderten Juden ihre Bleibe, die Ostjuden, die schon durch ihr Äußeres besonders auffielen.
Bereits im Jahre 1817 wurde ein Vorschlag zur Aufwertung des mittleren Teils der barocken Vorstadt präsentiert - von Karl Friedrich Schinkel. Dieser plante eine "Neue Straße am Monbijou", die - anschließend an eine neue "Eiserne Brücke" über die Spree - an dem projektierten Pantheon im Südwesten des Schlosses Monbijou ihren Ausgang nehmen und zu einem gewaltigen rechteckigen Platz führen sollte. Diesen Platz beschrieb Schinkel mit folgenden Worten: "Neuer großer Platz, in dem Raum der Gärten angelegt, wodurch mehr Kommunikationen und Privathäuser gewonnen werden." (Zit. in Rave 1948, S. 10) Die nicht realisierte Operation sollte zu einer "bessere[n] Verbindung der ganzen Gegend um die Oranienburger Straße mit der übrigen Stadt" (S. 11) beitragen.
Erst viele Jahrzehnte nach Schinkels Erneuerungsprojekt wurde ein ernsthafter zweiter Versuch zur radikalen Aufwertung der barocken Vorstädte gestartet. Vor allem drei Projekte sind hervorzuheben: der Durchbruch der Kaiser-Wilhelm-Straße und die Kahlschlagsanierung der Scheunengassen im Osten, die Anlage der Hackeschen Höfe im Süden sowie der Bau der Friedrichstraßen-Passage im Westen. Gemeinsam war diesen Offensiven nicht nur das Ziel, die alten, zentrumsnahen Stadtteile der Cityentwicklung zu erschließen, sondern auch der Zeitraum, in dem sie eingeleitet wurden: die Jahre um 1907.
Die Stadt Berlin hatte bereits in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts mit dem Durchbruch der Kaiser-Wilhelm-Straße in Alt-Berlin begonnen. Zur Fortsetzung dieser Maßnahme in Richtung barocke Königstadt mußte zu Anfang der neunziger Jahre das Viktoria-Theater fallen, das damals größte Theatergebäude Berlins. Der Durchbruch fand seinen Abschluß im 1906 eingeleiteten Abbruch des Scheunenviertels und in der Anlage eines dreieckigen Platzes, der die Ausfallstraßen nach Schönhausen und Prenzlau aufnehmen sollte.
Aus historischer Perspektive ist die Anlage dieser neuen Straße, der heutigen Rosa-Luxemburg- Straße, ein harter, gewollter Bruch mit der Umgebung, ein Symbol gewalttätiger baulicher und sozialer Modernisierung, ein Brückenkopf der erwünschten Cityerweiterung in Richtung Osten. Doch die Erwartungen der kaiserzeitlichen Stadtplaner wurden enttäuscht: Die Neubauten der Kaiser-Wilhelm-Straße blieben ein Fremdkörper im Gebiet, der dreieckige Platz selbst war über ein Jahrzehnt weitgehend eine Kahlschlagbrache - lediglich ein U-Bahnhof (1911-13 nach Plänen von Alfred Grenander) und das Theatergebäude der Volksbühne (1913-14 nach Plänen von Oskar Kaufmann) setzten neue Akzente. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß sich 1910 Protagonisten der damaligen Berliner Städtebauausstellung wie Rudolf Eberstadt und Theodor Goecke für eine "rationelle Ausnutzung des Scheunenviertels" und die weitere Entwicklung der Sanierung in dieser "Verbrechergegend" mit ihren "engen, übelriechenden und übelbeleumundeten Gassen" (Bauwelt 1/1910, S. 13f.) aussprachen.
Doch nach dem Ersten Weltkrieg stagnierte die Erneuerung des Stadtteils. Ein städtebaulicher Ideenwettbewerb zur Neugestaltung des Gebietes im Jahre 1925 blieb ohne jede Folgen. Erst 1928- 30 wurde die Randbebauung des Platzes nach Plänen von Hans Poelzig fertiggestellt. Das Filmtheater Babylon war Bestandteil des neuen Nutzungskonzeptes. Die Hoffnung auf eine Cityerweiterung war damals schon begraben, nicht aber die Hoffnung auf soziale Aufwertung. Doch die Bestrebungen, durch Wohnungen für "Ärzte, Rechtsanwälte und Kaufleute, Angestellte und Beamte" eine soziale Umwälzung des gesamten Gebietes einzuleiten, scheiterten. So blieb auch eine im Jahre 1929 veröffentlichte Untersuchung des Statistischen Amtes der Stadt Berlin, die eine weitere Sanierung der "jüdischen Schweiz" hinter dem Bülowplatz "in nächster Nähe des Alexanderplatzes" nahelegte, ohne Folgen.
Ein weiterer bauliches Großprojekt wurde am Hackeschen Markt in Angriff genommen, dem südlichen Verknüpfungspunkt der Vorstadt mit Alt-Berlin, der bereits mit der Fertigstellung der Stadtbahn (Bahnhof Börse) zusätzliche Bedeutung erlangt hatte. Die Anlage der Hackeschen Höfe in den Jahren 1905-07 nach Plänen von Johann Hoeninger und Gustav Reyscher sowie August Endell muß als Brückenkopf einer aufwertungsorientierten Stadtteilerneuerung betrachtet werden.
Die auf 9.200 Quadratmetern äußerst dicht bebaute Anlage um acht Höfe zwischen Rosenthaler und Sophienstraße wird durch einen Torweg erschlossen. Die Hackeschen Höfe waren von Anfang an ein neues Modell gemischter Nutzung, ein Ort der Kultur, des Gewerbes und des gehobenen Wohnens. Allerdings folgten dieser Offensive auf die Spandauer Vorstadt von Süden her keine weiteren nach. (Vgl. Brüggemann 1993, S. 59ff.)
Wie am Hackeschen Markt war es auch am westlichen Rand der nördlichen barocken Vorstadt ein privater Investor, der mit dem Bau eines Brückenkopfes der Cityerweiterung spekulierte. Die Voraussetzungen schienen nicht ungünstig: Die Friedrichstraße war ja eine Hauptstraße des Berliner Zentrums. Entgegen der ursprünglichen Idee, nur drei Grundstücke an der Friedrichstraße zusammenzufassen und mit einem Geschäfts- und Fabrikationskomplex zu bebauen, entwarf der Architekt Franz Ahrens 1907 unter Einbeziehung von vier zusätzlichen Grundstücken an der Oranienburger Straße ein "Passage-Kaufhaus", das von der zeitgenössischen Architekturkritik euphorisch gefeiert wurde: "Gleich den Bauten des Mittelalters, einfach in der Form und groß gehalten in der Massenwirkung" (Zeitschrift für Bauwesen 1909, S. 18). Auf etwa 10.000 Quadratmetern Grundfläche entstand 1908-09 eine Kathedrale der Waren, deren (damals weltgrößte) Stahlbetonrippenkuppel, Skulpturenschmuck und architektonischer Aufbau den weltstädtischen Anspruch der kaiserlichen Metropole zur Schau stellte. Die "Friedrichstraßen- Passage" sollte zugleich das verkehrliche Nadelöhr Oranienburger Tor entlasten und die nördliche Friedrichstraße für Fußgänger über die Oranienburger Straße an den Hackeschen Markt im Westen anschließen.
Obwohl scheinbar für die Ewigkeit gebaut, geriet der Monumentalbau schon bald in sehr weltliche Turbulenzen: Die private Spekulation mißlang, und die Betreibergesellschaft stand vor dem Konkurs. Ende der zwanziger Jahre mußte die Passage an einen neuen Eigentümer veräußert werden. Der Elektrokonzern AEG, motiviert durch die Nähe seiner Hauptverwaltung und Produktionsstätten, etablierte hier unter dem Titel "Haus der Technik" eine "Schau, die [...] über den neuesten Stand der Technik aufklärt" (AEG-Mitteilungen 1929, S. 631), eine Informations- und Produktschau im Geiste der damaligen Technikeuphorie. Die neue Nutzung des Gebäudes verdeutlichte eine stadträumliche Verkehrung der ursprünglichen Absicht: Nicht mehr die südlich gelegene City, sondern das nördlich gelegene, industriell geprägte Gebiet setzte seinen Einfluß auf den Standort durch. In der nationalsozialistischen Zeit übernahm die Deutsche Arbeitsfront das "Haus der Technik", wobei - im Zuge der allgemeinen Zentralisierung von NS-Dienststellen im nördlichen Zentrum - auch die SS in dem ehemaligen Warenhaus ihren Sitz fand.
Das Interesse der Nationalsozialisten an diesem Stadtteil konzentrierte sich allerdings vor allem auf eine Neuinterpretation des Bereichs um den Bülowplatz. Dieser Platz hatte schon in der Weimarer Republik nationale Bedeutung gehabt: Dort war bei den Märzkämpfen 1919 eine Hochburg der Spartakisten, dort befand sich seit 1926 das Karl-Liebknecht-Haus, das heißt das Gebäude des Zentralkomitees der KPD und der Parteizeitung "Rote Fahne", dort inszenierte Erwin Piscator 1924-27 sein revolutionäres Theater, und dort vor allem lebten die Ostjuden. Nach 1933 sollten diese Traditionen ausgelöscht werden. Der Bülowplatz wurde zu einem nationalsozialistischen Kultplatz umgestaltet, zum "Horst-Wessel-Platz". Höhepunkt war dabei der Umbau des Karl- Liebknecht-Hauses zum "Horst-Wessel-Haus". Nicht nur der Platz, sondern auch die Weydinger Straße mußte ihren Namen änderen, sie wurde zur "Horst-Wessel-Straße". Das Theater der Volksbühne mußte einer "Weihestätte deutscher Kunst" weichen und wurde 1939 nach Plänen von Paul Baumgarten umgebaut. Zu beiden Seiten des Theatergebäudes wurde je ein "Ehrenhain" - mit einem "Horst-Wessel-Denkmal" und einem Denkmal für die hier "gemordeten Polizeioffiziere". Hitler selbst bestimmmte am 29. März 1934 den Standort dieser "Denkmäler".
Die städtebauliche Neuinterpretation wurde durch die Kahlschlagsanierung eines jüdisch geprägten Baublockes im Norden des Theatergebäudes nach Plänen von Richard Ermisch abgeschlossen. Dieses erste große Stadterneuerungsprojekt der Nationalsozialisten war - wie das Protokoll einer "internen Besprechung" zwischen Bezirksvertretern und Stadtbaurat Kühn (Stenographischer Bericht ... 1934) zeigt - im Vorfeld umstritten. So fand es Bürgermeister Laach vom Bezirk Mitte nicht ganz einsichtig, bei dem verhältnismäßig gut erhaltenen Block an der Linienstraße mit der Stadterneuerung anzufangen, wo doch die Sanierung des Fischerkietzes - wie bereits vom City- Ausschuß gefordert - sehr dringlich sei (S. 5f.). Dagegen verwies Stadtbaurat Kühn auf den "Wunsch der hohen und höchsten Stellen" und auf die Unterstützung des Reichsfinanz- wie des Reichsarbeitsministers. Erleichtert würde die Sanierung auch dadurch, "daß nur Herren und Damen nichtarischen Geschlechts dort Besitzer sind und wohnen. Wir können also - wir kommen gleich auf den Punkt - scharf vorgehen. Man wünscht, daß scharf vorgegangen wird." (S. 7) Hand in Hand mit diesen Maßnahmen der Stadterneuerung verschärfte sich die Verfolgung der politischen Gegner und Ostjuden in der "Jüdischen Schweiz", wie das weitere Scheunenviertel von den Nationalsozialisten genannt wurde. Der nationalsozialistische Terror vernichtete die soziale und kulturelle Vielfalt des Stadtteils.
Warum, so bleibt zu fragen, scheiterten die Versuche, die nördliche barocke Vorstadt für die Cityentwicklung zu erschließen? Diese städtebauliche Besonderheit geht vor allem auf die langgestreckte stadträumliche Barriere zwischen der aufblühenden City im Bereich der Dorotheen- und Friedrichstadt und der Spandauer Vorstadt zurück. Diese Barriere war vielschichtig: Zuallererst ist die Spree zu nennen, die allein natürlich noch kein unüberwindliches Hindernis bilden kann. Die Spree verzögerte aber die bauliche Nutzung des Ufergeländes, da dieses häufigen Überschwemmungen ausgesetzt war und daher bis heute einen hohen Grundwasserspiegel hat.
Zwischen der barocken Dorotheenstadt und der barocken Stadterweiterung im Norden erstreckte sich also zunächst eine unbebaute Fläche. Dieses Gelände ("Neue Auslage") wurde seit 1780 von großen öffentlichen Einrichtungen in Beschlag genommen, die keinen ausgesprochenen Zentrumscharakter hatten: vor allem von Krankenhäusern, Kasernen, Gefängnissen. Diese Nutzungen waren es, die später der Cityerweiterung nach Norden den Weg versperrten. Die Struktur dieser Barriere wurde durch den der Stadtbahn in den Jahren 1875-82 nur noch weiter verfestigt.
Die sperrigen stadträumlichen Verhältnisse wurden natürlich auch von den zeitgenössischen Stadtplanern gesehen. Vor diesem Hintergrund muß etwa auch der Wettbewerb um ein Turmhaus am Bahnhof Friedrichstraße betrachtet werden: Der Intention, eine Art Tor zur City zu markieren (und damit auch das Ende der City nach Norden) ist die faktische Wirkung eines solchen Projekts gegenüberzustellen: Das Turmhausprojekt kann durchaus als neuer Versuch gewertet werden, die City endlich über den Bahnhof Friedrichstraße nach Norden hin auszudehnen.
Zur gleichen Zeit entwickelte Bruno Möhring seine Vorschläge zur Sprengung der stadträumlichen Barriere, Vorschläge, die neben einem Bürohochhaus am Bahnhof Friedrichstraße eine ganze Phalanx von Hochhäusern umfaßten - insbesondere auf der "Linse" zwischen Stadtbahntrasse und Spree: "Gibt es nun in Berlin eine Stelle, an der man eine Anzahl Hochhäuser errichten könnte, ohne erst sehr große Werte vernichten zu müssen? Die Gunst des Schicksals hat uns einen solchen Stadtteil in allerbester Verkehrslage erhalten. Er bildet wirtschaftlich eine tote Insel, weitläufig gebaut mit Gebäuden, die heute keine Berechtigung mehr haben, auf einem Boden zu stehen, der für den Ausbau unserer Stadt von außerordentlichem Wert ist. Durch eine städtebauliche Operation, die leicht durch die Genehmigung des Hochhausbaues durchgeführt werden kann, würde ein Büroviertel ermöglicht werden, welches eine bedeutende Verbesserung und Verschönerung unserer Stadt bilden würde." (1921, S. 8ff.) Die Neubebauung der "Linse" mit Hochhäusern sollte nur der Auftakt zu weiteren Umbauten sein: "In späterer Zeit könnte auch die für Geschäftshäuser sehr günstig gelegene Umgebung des Bahnhofs Börse [heute S-Bahnhof Hackescher Markt] durch städtebauliche Umgestaltung verbessert werden. Auch der Teil südlich vom Bahnhof Friedrichstraße würde sich für die Freigabe von Hochhäusern eignen." (S. 13) Doch die ökonomischen Möglichkeiten der frühen Weimarer Republik erlaubten keine Anstrengungen solcher Dimension.
In der nationalsozialistischen Zeit wurde ein neuer Versuch gestartet, die stadträumliche Barriere umzuwälzen. In einer ersten Phase knüpfte die städtische Verwaltung an Planungen aus der Weimarer Republik zur Erneuerung der Krankenhausbauten an der Ziegelstraße an (vgl. Kiessling 1931), die zugleich die Anlage eines Uferweges ermöglichen sollten. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Generalbauinspektor entwickelte dann Albert Speer - auf der Grundlage der Planungen zur Verlagerung der Universitätskliniken - ein Konzept zur Erweiterung der Museumsinsel, das diese durch neue, jeden Maßstab sprengende Museumsbauten an die weiter westlich zu errichtenden neuen Partei- und Staatsbauten anschließen sollte. Entlang breiter Spreeuferpromenaden waren ein Museum des 19. Jahrhunderts, ein Vorderasiatisches und Ägyptisches sowie ein Germanisches und - südlich der Spree - ein Völkerkundemuseum nach Plänen von Wilhelm Kreis bzw. Hans Dustmann vorgesehen. Zur Realisierung dieses Konzeptes wurden sechs Blöcke in ihrem gesamten Baubestand für den Abbruch bestimmt, das Schloß Monbijou sollte zur Komplettierung einer "Eosander-Werkschau" in den Schloßpark Charlottenburg versetzt werden. Das Speer-Projekt wurde nicht verwirklicht. Die historische Barriere blieb bestehen - bis zur Spaltung der Stadt.
Da nach der Gründung der DDR der Aufbau eines "sozialistischen Stadtzentrums" zwischen Alexanderplatz und Marx-Engels-Platz die stadtplanerischen Kapazitäten band, verblieb die im Zweiten Weltkrieg verhältnismäßig wenig zerstörte Spandauer Vorstadt im Schatten der Aufmerksamkeit.
Zwar wurde dieser Stadtteil durch seine Zentrumsnähe zwangsläufig in die Überlegungen zur Neugestaltung der Mitte Berlins miteinbezogen. Dabei reichte das Spektrum der Überlegungen von der vollständigen Auflösung der überkommenen Stadtteilstruktur bei gleichzeitiger Erhaltung einiger Traditionsinseln wie etwa der teilzerstörten Friedrichstraßen-Passage und der Synagoge bis zur Teilrespektierung des Stadtgrundrisses. Eindrucksvolles Beispiel für eine durchgreifende Kahlschlagsanierung ist ein im Jahre 1951 vorgelegter Plan, dessen Realisierung die barocke Vorstadt hinweggefegt hätte.
Tatsächlich blieb das Gebiet aber - trotz weiterer Planungen - im städtebaulichen Abseits. Erst in den achtziger Jahren begann zögernd die punktuelle Erneuerung - durch Abriß und Neubau, allerdings auf der Basis des überkommenen Stadtgrundrisses. "Die ursprüngliche städtebauliche Struktur der Spandauer Vorstadt", so der Ost-Berliner Stadterneuerungfachmann Werner Rietdorf 1989, "hat sich trotz zahlreicher baulicher Veränderungen und Erneuerungen in der zweiten Hälfte des 19. Jh. und Teilzerstörungen während des zweiten Weltkrieges weitgehend bis in die Gegenwart erhalten. Dennoch war die historische Altbausubstanz Ende der siebziger Jahre teilweise stark verschlissen, so daß Anfang der achtziger Jahre daran gegangen werden mußte, partielle Lückenschließungen und Quartierergänzungen nach vorangegangenen Teilabrissen bzw. Beräumungen von Interimsbauten vorzunehmen und so schrittweise das gesamte Wohn- bzw. Wohnmischgebiet komplex umzugestalten und zu erneuern [...]. Mit den maßstabgerecht eingefügten Neubauten wurden die ursprünglichen Baufluchten weitestgehend aufgenommen und die gewachsene Raumstruktur wiederhergestellt." (S. 47)
Praktisch wurde die Stadterneuerung also erst im Vorfeld der 750-Jahr-Feier Berlins - mit Licht- und Schattenseiten. Die Sophienstraße, ein "unverwechselbares Kleinod frühbarocker Stadtbaukunst" (Rietdorf 1989, S. 49), wurde seit 1980 zu einer historischen Bilderbuchstraße herausgeputzt - wenn auch nicht ganz so nostalgisch wie die Husemannstraße am Prenzlauer Berg. An anderen Stellen wurde die "Platte" plaziert - sicher in etwas zurückhaltender Form, aber nichtsdestoweniger als harter, zerstörerischer Fremdkörper. Für den langsamen Vormarsch der "Plattenbauten" mußten immer mehr alte Häuser fallen. Der historische Stadtteil, so schien es, hatte im realen Spätsozialismus nur mehr als schrumpfendes Fragment eine Zukunft.
Seit der "Wende" ist die in der DDR-Zeit in weiten Bereichen sehr vernachlässigte Spandauer Vorstadt zum Kultort der post-alternativen Szene aufgestiegen. Vor allem die Oranienburger Straße wurde schnell zu einem Wallfahrtsziel von Jugendlichen aus ganz Deutschland, des Nachts aber auch zu einer Bühne des Straßenstrichs. Der historische Stadtteil war und ist seit 1989 insbesondere aber auch ein Standort wie Gegenstand zahlreicher kultureller und sozialer Initiativen. Damit hat er an seine bunte Tradition rasch wieder Anschluß gefunden. Die größte und bekannteste Initiative dieser Art ist das "Kunsthaus Tacheles", das sich in der Ruine der Friedrichstraßen-Passage eingenistet und dessen geplante Sprengung im Jahre 1990 verhindert hat.
Die Spandauer Vorstadt ist aber zugleich wegen ihrer zentralen Lage einem harten Aufwertungs- und Verdrängungsdruck ausgesetzt. Dieser Druck ist nicht nur ein Ergebnis privater Investoreninteressen, sondern auch Folge des Hereindrängens etablierter Kultureinrichtungen in den Stadtteil, eines Prozesses also, der mit der Einrichtung des "Tacheles" seinen Anfang nahm. Der Druck der Investoren stößt hier allerdings auf größeren Widerstand als im übrigen Zentrum Berlins - nicht nur seitens der lokalen Initiativen. Wenigstens auf dem Papier scheint innerhalb des Berliner Senats und des Bezirks Mitte ein Konsens zu bestehen, die einzigartige Struktur der Spandauer Vorstadt nicht nur in baulicher Hinsicht, sondern auch als Ort multikultureller Aktivitäten und sozialer Durchmischung weiterzuentwickeln. Die Ausweisungen als Gebiet des Sonderprogramms "Städtebaulicher Denkmalschutz" und als Sanierungsgebiet sowie der Erlaß einer Erhaltungsverordnung, die den Abriß historischer Bausubstanz erschweren und die Verdrängung bestehender Nutzungen verzögern können, unterstreichen diesen Konsens.
Bereits in den vorbereitenden Untersuchungen zur Spandauer Vorstadt wurde als zentrales "Ziel der Neuordnung" die Erhaltung der "vorhandenen Gestalt" genannt (Arbeitsgruppe für Stadtplanung 1992, S. 43). "Die Spandauer Vorstadt ist das letzte, im Ganzen intakte, seit ihrer Gründung im Kontinuum bebaute Siedlungsgebiet innerhalb der ehemaligen Akzisemauer. Sie ist ihrer Baustruktur nach die 'Altstadt' Berlins. Sie genießt Denkmalsrang und sollte dementsprechend Schutz erhalten." (Ebd.)
Schwerpunkte der städtebaulichen Denkmalpflege sind Gebäude in der Tucholskystraße und in der Neuen Schönhauser Straße. Die Frage, wie mit dem historischen Stadtgrundriß umzugehen sei, führte immer wieder zu Konflikten, etwa bei der Alternative "Rekonstruktion der Kleinen Hamburger Straße" oder "Erhaltung und Qualifizierung des bestehenden Sportplatzes" und bei der Wiederherstellung der historischen Raumkanten im Bereich der Rosenthaler Straße vom Hackeschen Markt bis zum Rosenthaler Platz. So wurde angeregt, nicht einfach die Situation des frühen 19. Jahrhunderts wiederherzustellen, sondern auch später entstandene Brachflächen und Baulücken hinsichtlich einer anderen Nutzung sorgfältig zu prüfen.
Im August 1993 wurde die Spandauer Vorstadt als Sanierungsgebiet ausgewiesen. Die vom Büro Mieterstadt im Mai 1993 vorgelegte Sozialstudie zeigt die Dimension der Erneuerungsaufgaben: Im Untersuchungsbereich liegen 4.422 bewohnte Wohnungen, 70 Prozent der Wohngebäude wurden vor 1870 errichtet und haben eine schlechte Ausstattung. Der Bedarf an baulicher Erneuerung ist also gewaltig.
Schließlich bleibt ein weiterer Widerstandsfaktor struktureller Art zu nennen: die kleinteilige Parzellen- und Baustruktur, die ein Eindringen von Großinvestoren zumindest erschwert. Allerdings ist diese Kleinteiligkeit an einem historischen Brückenkopf der Kahlschlagsanierung nicht mehr vorhanden: im Areal um die ehemalige Friedrichstraßen-Passage. Das hier durch die DDR-Abrisse entstandene Riesengrundstück soll an einen einzigen Großinvestor verkauft werden, der aber wenigstens das Tacheles erhalten soll. Die heftigen, jahrelangen Auseinandersetzungen um diesen Verkauf sind inzwischen abgeschlossen. Das künftige, relativ differenzierte Nutzungskonzept des neuen Eigentümers, des Kölner Investment-Fonds Fundus, ist nicht mehr so bedrohlich wie das anderer Investoren, die an diesem Brückenkopf interessiert waren. Nunmehr soll nicht nur das Tacheles langfristig erhalten werden, auch ein Wohnungsanteil von 50 % ist vorgesehen. Daher scheint die Gefahr gebannt, daß die Spandauer Vorstadt - bei unangemessener Quantität und Qualität der Nutzung - an ihrem Westrand aufgebrochen wird. Für die weitere Entwicklung in diesem Bereich ist aber auch die Umsetzung der Ergebnisse des städtebaulichen Ideenwettbewerbs "Bahnhofsbereich Friedrichstraße" von Bedeutung.
Nicht mehr so bedrohlich sind die Erneuerungsperspektiven der Hackeschen Höfe. Nach längerem Ringen zeichnet sich eine Lösung ab, die die frühere kleinteilige Mischung auch in Zukunft bewahren soll. "In den HACKESCHEN HÖFEN", so "Freiraum" Nr. 2/1995, eine Zeitschrift im Auftrag der Kommanditgesellschaft Verwaltung Hackesche Höfe, Berlin GmbH und Co., "wird die historisch und architektonisch angelegte Mischung von Geschäftssitzen und Dienstleistungsbüros (ca. 28 % der Gesamtnutzfläche), Kultur (18 %) und Wohnen (38 %) zeitgemäß wiederbelebt. Sie wird ergänzt um Gastronomie (5 %), Einzelhandel (5 %) und Kleingewerbe (6 %), hauptsächlich im Erdgeschoß." (S. 2) Die Einrichtung eines Planungsbeirates unterstreicht die für ein Modellprojekt offene Haltung des privaten Investors.
Auch im übrigen Sanierungsgebiet kann die Stadterneuerung angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen bislang als relativ behutsam bezeichnet werden. Das liegt zunächst an den immer noch weithin ungeklärten Eigentumsverhältnissen. Das ist aber auch den Hauptakteuren geschuldet, dem Bezirk Mitte und dem Sanierungsbeauftragten, dem Koordinationsbüro zur Unterstützung der Stadterneuerung in Berlin, die nicht nur gebietsspezifische Sanierungsziele erarbeitet haben, sondern diese im konkreten Tagesgeschäft auch durchzusetzen versuchen. So sollen die vorhandenen Wohnungen erhalten werden, bei Neubauten wird eine - je nach Lage im Gebiet - gestaffelte Wohnquote gefordert, die aber zumindest 30 Prozent betragen muß.
Auch die kleinteilige Parzellenstruktur soll mit Modifikationen erhalten bleiben, bei vorhandenen Großparzellen wird in Einzelfällen eine Teilung angestrebt. Von besonderem Interesse ist die Verfahrensweise bei zwei Großparzellen, die beide eine strategische Lage aufweisen.
Auf dem Grundstück zwischen Dircksenstraße, An der Spandauer Brücke und Rosenthaler Straße, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Hackeschen Höfen, will die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mit privaten Partnern eine Anlage namens "Neue Hackesche Höfe" errichten. Geplant ist auf einer Grundstücksfläche von etwa 6.000 Quadratmetern ein Raumprogramm für Gewerbe (45 Prozent), Wohnen (49 Prozent) und Kultur (6 Prozent; Stand November 1994). Die Anlage soll als Komplex von "Einzelhäusern" nach Entwürfen von vier Architekturbüros gebaut werden. Die Geschoßflächenzahl beträgt knapp über 4,0.
Die zweite wichtige Großparzelle befindet sich ebenfalls an der Rosenthaler Straße, in unmittelbarer Nähe des ehemaligen, von Alfred Messel errichteten Kaufhauses. Hier sind die Vorbereitungen zur Wiederbebauung nicht ganz so vorbildhaft verlaufen. Nach dem gegenwärtigen Stand ist durch eine private Entwicklungsgesellschaft eine zu dichte und zu hoch geratene Neubebauung mit geringem Wohnanteil geplant, die sich zur Rosenthaler Straße hin als gebietsfremde Großstruktur gebärdet.
In der Spandauer Vorstadt und westlichen Königstadt ist somit ein ganz anderer Typ des Stadtumbaus eingeleitet worden als etwa in der Dorotheen- und Friedrichstadt: Kleinteiligkeit, bauliche, funktionale und soziale Mischung, Bewahrung der historischen Bausubstanz - das sind Elemente einer Erneuerungspolitik, die eine relativ starke öffentliche Hand, entsprechende planungsrechtliche Instrumente und aufmerksame Initiativen vor Ort zur Voraussetzung haben. Noch fehlen allerdings ein konkretisierter Rahmenplan und die erforderlichen planerischen Maßnahmen zur Sicherung der Standorte für soziale Infrastruktur. Und auch hier stellt sich das Schlüsselproblem des Kraftfahrzeugverkehrs: Bereits jetzt läßt sich absehen, daß zu viele neue Stellplätze geplant werden, die mehr Verkehr anziehen werden, als das historische Straßennetz aufnehmen kann.
Die Spandauer Vorstadt samt den Resten der Königstadt ist eine der barocken "Vorstädte" des alten Berlin, im Gegensatz zur Dorotheen- und Friedrichstadt allerdings eine sozial und funktional "einfache" Vorstadt. Statt eines regelmäßigen Rastergrundrisses mit einigen wohlgeformten Plätzen zeigt die Spandauer Vorstadt noch heute das Bild eines unregelmäßigen, hierarchischen Straßensystems ohne ausgezirkelte Plätze. Doch auch die Unregelmäßigkeit hat System: Das Grundgerüst des Stadtteils wird durch die Ausfallstraßen des alten Berlin geprägt.
Entscheidend für die Zukunft der Vorstadt sind die Ausweisungen als Gebiet des "Städtebaulichen Denkmalschutzes" und als Sanierungsgebiet. Mindestens ebenso wichtig sind die geplanten Großinvestitionen am Rande des historischen Stadtteils. Es handelt sich um die gleichen Areale, die bereits in der Vergangenheit - damals aber durchaus offiziell erwünscht - als Brückenköpfe der Aufwertung des widerspenstigen Stadtteils angelegt wurden: der Bereich um das ehemalige Passage-Kaufhaus, der Hackeschen Markt und vor allem der Bereich hinter dem Alexanderplatz. Vom Megaprojekt Alexanderplatz selbst geht die größte Gefahr für die jetzigen Bewohner und Nutzer aus.
Der Blick in die Geschichte zeigt auch, daß die Zukunft der nördlichen barocken Stadterweiterung ganz entscheidend mit der weiteren Entwicklung der stadträumlichen Barriere entlang der Spree zusammenhängt. Wird diese Barriere durch Citynutzungen weiter durchlöchert, ist der Stadtteil dem Vormarsch der City schutzlos ausgeliefert. Doch scheint die für die besondere Struktur des Berliner Zentrums verantwortliche Barriere zwischen Dorotheenstadt und Spandauer Vorstadt bis heute noch kaum angemessen erkannt worden zu sein.
Insgesamt verlang die Spandauer Vorstadt weit mehr Aufmerksamkeit als bisher, handelt es sich hierbei doch um das letzte zusammenhängende Reststück des historischen Zentrums, also um einen nicht-herrschaftlichen Ort, der für die Identität Berlins von kaum zu überschätzender Bedeutung ist. Dieser Ort ist genausowenig ohne Makel wie die deutsche Geschichte selbst, er zeigt wie kein anderer Teil Berlins die Wunden und Narben einer mehr als hundertjährigen Stadterneuerung.