Der historische Stadtraum ist ein relativ neues Thema, nicht nur der Berliner Städtebaudiskussion. Die Wiederentdeckung des historischen Stadtraums beinhaltet die Absage an das Konzept eines modernistischen Menschen, der sich nur durch ideelle und materielle Verschrottung des Vergangenen emanzipieren kann; sie impliziert die Anerkennung des Menschen als "homo memor", dessen Dasein die Erinnerung, die Verarbeitung des Gewesenen, die Transformation des Überkommenen umfaßt.
Der Kultur des Respekts vor der historischen Stadt war in West-Berlin seit den achtziger Jahren konsensfähig. Sie entstand in der Auseinandersetzung mit dem Städtebau der fünfziger, sechziger und frühen siebziger Jahre und erhielt mit der 750-Jahr-Feier der Stadt zusätzlichen Rückenwind. Diese Kultur hatte allerdings auch ihre Grenzen: Sie orientierte sich in erster Linie an den Stadterweiterungen der Kaiserzeit, sie bezog sich vor allem auf Sanierungsgebiete, und sie war nicht in dem Maße wie heute mit massiven Nutzungsansprüchen auswärtiger Akteure oder mit der Aufmerksamkeit einer äußerst kritischen, überlokalen Öffentlichkeit konfrontiert.
Dies stellt sich hinsichtlich der Stadtmitte Berlins heute völlig anders dar. Das westliche Wissen um das historische Zentrum ist in den letzten Jahrzehnten verkümmert, die Frage nach öffentlich zu erstreitenden städtebaulichen Regeln hat sich erst gar nicht gestellt, und demokratische Verfahren haben außerhalb der Sanierungsgebiete keine Tradition. Für die Keimformen einer vergleichbaren östlichen Kultur war vor wie nach 1989 das Klima sehr ungünstig.
Es geht aber nicht nur um den Respekt für den historischen Stadtraum, sondern auch um die Erfahrungen mit der Erneuerung dieses Zentrums, den Motiven, Zielen, Erfolgen und Mißerfolgen der Planungen von gestern. Die Probleme des Zentrums wie die bevorzugten Orte der planerischen Intervention heute sind nicht gänzlich neuartig, im Gegenteil: Hier zeigt sich eine erstaunliche Persistenz. Unterschiedlich sind die jeweiligen zeitgenössischen Bewertungen einer Situation - und deshalb auch die Problemlösungsstrategien.
Damit ist auch eine Antwort auf die Grundsatzfrage möglich: Was bringt uns die Auseinandersetzung mit den Zeugnissen von gestern? Sie bringt natürlich keine aus der Geschichte selbst abzuleitenden Rezepte, sie ermöglicht aber ein Erfahrungswissen, das mit den aktuellen Anforderungen an eine bessere Stadt konfrontiert werden muß, an eine Stadt, die nachhaltige Qualitäten in sozialer, kultureller, ökologischer und wirtschafticher Hinsicht besitzt. Jede Generation muß ihre Interpretation der Geschichte vor dem Hintergrund aktueller, an den Erfahrungen der Vergangenheit geschärfter Erfordernisse wieder neu finden. Welche Zielsetzungen für ein Zentrum von morgen lassen sich aus dem Blick zurück ableiten?
Jede europäische Großstadt ist durch spezifische historische Schichtungen geprägt, die das Bild, die Erinnerungen an diese Stadt bestimmten, ihre Bekanntheit auch anderswo. Berlin ist zu Recht vor allem als Stadt des späten 19. Jahrhunderts berühmt geworden, als Großstadt, die wie keine andere Hauptstadt - abgesehen von Budapest - ihre Gestalt in der Kaiserzeit erhalten hat. Im historischen Zentrum zeugte - bis zum Zweiten Weltkrieg - vor allem der Baubestand von dieser Blütezeit. Der Stadtgrundriß der Berliner Mitte war dagegen wesentlich ein Produkt des Absolutismus: Das gilt nicht nur für den regelmäßigen Grundriß der Dorotheen- und der Friedrichstadt, für den eher unregelmäßigen Grundriß des Friedrichswerder, der Spandauer Vorstadt und der Königstadt, für die Schloßlandschaft im Norden der Spreeinsel, ja die Form der Insel überhaupt, sondern auch - indirekt - für den Grundriß der damals vernachlässigten und daher partiell erhaltenen mittelalterlichen Doppelstadt Berlin-Cölln.
Der in der Zeit des Absolutismus gefestigte und später nur mehr modifizierte Zentrumsgrundriß wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg, in der DDR-Zeit, teilweise - vor allem in der Altstadt - durch radikal neue Grundrißfiguren überformt bzw. aufgelöst. Diese neuen Raumfiguren sind zugleich das Zeugnis einer Besonderheit Berlins - Zeugnis der gespaltenen Stadt, Erinnerung an die Hauptstadt des "kalten Krieges" zwischen Ost und West.
Der regelmäßige Baublock war nur ein Element des historischen Grundrißspektrums, allerdings eine besonders wichtige: In der durch Baublöcke gegliederten Dorotheen- und Friedrichstadt konnte sich die City der Kaiserzeit am besten entfalten. Die eigentliche Entwicklungseinheit war aber nicht der Block, sondern der Platz bzw. die Straße mit den angrenzenden Parzellen. Die bebaute Parzelle unterschied eine Vorder- und eine Rückseite, sie erlaubte eine Schichtung der Nutzungen in doppelter Richtung: einmal vertikal vor allem im Hauptgebäude an der Straße und horizontal in die Tiefe des Blockes hinein.
Die städtische Entwicklung vollzog sich bekanntlich in einer sehr flexiblen Weise: Im Zuge der Modifikation der Lagequalität einer Straße oder eines Platzes veränderten sich auch die Bebauung und die Nutzung - aber nicht zum gleichen Zeitpunkt und nicht auf allen Parzellen. Diese parzellenbezogene Entwicklung hatte zweifellos ihre Vorteile: Sie vollzog Veränderungen in einem längeren Prozeß, vermittelte Kontinuität und Bruch, erleichterte die öffentliche Auseinandersetzung um die Veränderung und damit auch Korrekturen, und sie machte den Bruch leichter erträglich. Vor allem aber sicherte dieser Prozeß eine Erlebnisvielfalt infolge der kleinräumig erfahrbaren "Ungleichzeitigkeit" des jeweiligen Zustandes - einer Ungleichzeitigkeit, die den nicht gleichschaltbaren unterschiedlichen Perspektiven der jeweiligen Eigentümer und Nutzer der Parzellen entsprach. Ein solcher Prozeß verzögerte die Konzentration von Parzellen und setzte einer privaten Veränderung der Blockgrenzen und damit des Straßensystems nahezu unüberwindliche Schranken.
Die letztlich positive Wirkung der Parzellenstruktur wurde durch die Herausbildung von Groß- und Riesenparzellen in Frage gestellt. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die Beanspruchung von großen Flächen für herrschaftliche Funktionen - etwa für das Schloß, das Zeughaus, den Marstall. Im 19. Jahrhundert wurden staatliche Institutionen zu Produzenten parzellenfressender Großstrukturen: etwa die staatliche Bank auf dem Friedrichswerder, die Post in Alt-Berlin, die Stadt mit ihrem Rathaus, das Justizwesen, die Ministerien, insbesondere das Kriegsministerium. Dagegen waren private Investoren weniger erfolgreich: Das sich ausweitende Kaufhaus Hertzog auf der Spreeinsel bildete eher eine Ausnahme. Die öffentliche Hand war der Vorreiter bei der Überwindung des historischen Parzellensystems - für eigene Zwecke, aber auch als planende Institution.
Insbesondere den Vertretern der städtebaulichen Moderne war die überlieferte Parzellenstruktur ein Dorn im Auge: War sie doch ein Hindernis auf dem Weg zu einem autogerechten und rein tertiären Zentrum, in dem alle Spuren der Ungleichzeitigkeit ausgelöscht sein sollten. Diese Tendenz zur Gleichschaltung der Nutzung und zur Überwindung der Parzellenstruktur korrespondierte mit dem Drang moderner Architekten, den parzellierten Block zu zerschlagen, die dialektische Einheit von Vorder- und Rückseite zugunsten der verallgemeinerten Vorderseite aufzulösen. Im großen Maßstab erfolgreich war dieses "moderne" Konzept erst in der DDR-Zeit, vor allem in den sechziger Jahren.
Nach der "Wende" wurde die Parzelle als Element der Stadt und der Stadtproduktion wiederentdeckt - vor allem durch die Arbeiten von Dieter Hoffmann-Axthelm. Die wünschenswerte Reparzellierung der Zentrumsblöcke wurde aber nicht mit dem notwendigen Nachdruck verfolgt - im Gegenteil: Einzelnen Investoren ganz Blöcke zu überlassen, schien der öffentlichen Hand die Arbeit der Zentrumsentwicklung zu erleichtern, sie ersparte sich eine komplexe Koordinierungsarbeit und eine zweifellos schwierige Auseinandersetzung mit Investoren. Für die erforderliche Korrektur dieser auch von der Senatsbauverwaltung erkannten krassen Fehlentwicklung ist nach der Vergabe der meisten Grundstücke der Spielraum aber sehr eng geworden.
Daß die jeweilige Breite einer Gebäudefront bzw. die Parzellenbreite die Erlebnisvielfalt einer Straße prägt, steht außer Zweifel. Wie steht es aber mit der Höhe der Gebäude?
Die Silhouette der europäischen Stadt war stets ein unverzichtbares Markenzeichen, Maßstab und Ausdruck städtischer Identität. Der Dom bzw. die Stadtpfarrkirche, dann die kleineren Kirchen der Bettelordensklöster, die Tortürme der Stadtmauer und der Rathausturm prägten die Silhouette der vorindustriellen Stadt. Die Gestalt dieser Silhouette wechselte im Laufe der Stadtentwicklung. So erhielten die Türme im 18. Jahrhundert oft eine barocke Haube und im 19. Jahrhundert neogotische Spitzen. Kuppeln traten neben die Türme. Selbst im späten 19. Jahrhundert wurde die überkommene Höhen- und Bedeutungsstaffelung noch im Grundsatz gewahrt, wenngleich Fabrikschlote die Türme ergänzten.
Die Traufhöhe von 22 Metern ist das vielleicht bedeutendste Merkmal des Berliner Städtebaus der Kaiserzeit, also der Zeit, die Berlin - neben der Nachkriegszeit - am stärksten formte. Aber schon vor dem Ersten Weltkrieg läßt sich ein ökonomischer Druck feststellen, der eine insgesamt höhere bauliche Dichte des Zentrums einfordert. Dieser Druck äußerte sich in der architektonischen Forderung nach einer Überschreitung der baupolizeilich zugelassenen Traufhöhe, vor allem aber im "Schrei nach dem Turmhaus". Insbesondere die Vertreter der städtebaulichen Moderne sahen in der überkommenen Silhouette den Spiegel einer überholten, schlechten Zeit. Sie wollten nicht mehr die Gestalt der alten Türme ändern, sondern diese in den Schatten stellen - vor allem durch Bürotürme des Großkapitals. Bei aller Faszination, die die US-amerikanischen Großstädte ausübten - eine ähnlich chaotische Konfiguration von Wolkenkratzern wollten sie aber in den deutschen Großstädten nicht zulassen. Das städtebaulich geordnete Hochhaus war die Antwort auf die eigene Vergangenheit wie die amerikanische Gegenwart. Diese programmatische Antwort zeitigte in der Weimarer Republik allerdings nur relativ bescheidene praktische Folgen - etwa am Alexanderplatz oder am Potsdamer Platz.
Die Hoffnung auf eine städtebaulich geordnete Plazierung von Hochhäusern war, wie die weitere Entwicklung zeigt, angesichts der ökonomischen Mechanismen der Bodenordnung und Parzellenverwertung vergebens. In Europa können wir verschiedene Reaktionen auf diese Erfahrungen beobachten: In den Großstadtzentren etwa von Paris, Wien und Rom, also von selbstbewußten Städten, in denen die Frage der Bedeutung der Stadtsilhouette für die Stadtidentität nicht mehr dauernder Diskussion bedarf, wurde auf den Bau von Hochhäuserrn verzichtet. Ein zweites Modell ist Moskau, wo gleich nach dem Zweiten Weltkrieg der zumindest kurzfristig erfolgreiche Versuch praktiziert wurde, eine städtebaulich geordnete Konfiguration von Hochhäusern zu bauen, die die alte Silhouette in den Schatten stellen sollte. Diese Praxis einer traditionalistischen Moderne setzte allerdings die politischen Verhältnisse der Stalin-Zeit voraus, sie wurde später durch neue, städtebaulich nicht mehr vertretbare Hochhäuser konterkariert. Und schließlich gibt es noch das Modell London, die partielle Zerstörung einer klassischen europäischen Silhouette durch ein Gewirr von Hochhäusern. Die Londoner Entwicklung hat aber sicher mehr mit den gesellschaftspolitischen Verhältnissen der Thatcher-Ära zu tun als mit einem städtebaulichen Konzept. Berlin schließlich hat sich - was das historische Zentrum betrifft - erst in der DDR-Zeit und vor allem seit den sechziger Jahren von der historischen Traufhöhe verabschiedet, ohne die beabsichtigte und durch die realsozialistischen Verhältnisse theoretisch mögliche neue städtebauliche "Ordnung" durch höhere Gebäude in nachvollziehbarer Form zu erreichen.
Berlin sollte sich angesichts der europäischen Erfahrungen in die Reihe Paris, Wien und Rom einordnen. Als im wesentlichen durch das späte 19. Jahrhundert geprägte Hauptstadt ist der ortsspezifisch zu differenzierende Respekt vor der historischen Traufhöhe und Höhenstaffelung unverzichtbar zur Wahrung der städtischen, historischen Identität. Darüber hinaus hilft dieser Respekt auch, eine Hyperzentralisierung des Gesamtzentrums im Gefüge der verschiedenen zentralen Gebiete der Region Berlin zu vermeiden. Eine allgemeine Beschränkung der Bebauungsdichte im Zentrum - mit einem ortsspezifisch zu konkretisierenden Spektrum der Geschoßflächenzahl von 3,0 in Anlehnung an den § 17 Absatz 1 der Baunutzungsverordnung bis maximal 4,0 - wäre sinnvoll gewesen und ist es auch heute noch. Die Beschränkung der Dichte wird durch eine maximale (ober- wie unterirdische) Traufhöhe unterstützt.
Die für die europäische Stadt so wichtige und konstitutive Stadtstraße ist nicht nur als formales Gliederungselement des Stadtgrundrisses von Bedeutung, sondern vor allem auch als Sozialraum. Damit ist die Aufgabe einer Straße bzw. eines Platzes angesprochen, zwischen verschiedenen Teilen der Stadt zu vermitteln bzw. als Bühne bestimmter sozialer Gruppen und Nutzungen zu dienen. Ein zentraler öffentlicher Raum lebt aus seinen Fernbezügen wie Nahbezügen. Der Alexanderplatz etwa war Umschlagplatz des öffentlichen Nahverkehrs aus dem Berliner Norden und Osten, er war aber zugleich Ausdruck und Bühne seines näheren Hinterlandes, der Gegend hinter dem Alexanderplatz, des weiteren Scheunenviertels. Die Vitalität des Potsdamer Platzes gründete sich auf seine Bezüge zu den bürgerlichen Wohngebieten des Westens und seine Nähe zu den großen Kaufhäusern und Hotels.
Die Planer der Moderne in den späten zwanziger Jahren wollten diese Besonderheiten aufheben - durch standardisierte Plätze aus einem Guß. Die Durchsetzung des verkehrsgerechten Architekturplatzes scheiterte damals allerdings - nicht zuletzt an den Widrigkeiten des Parzelleneigentums. Lebendige, komplexe Großstadtplätze können nicht von einer Entwurfshand zu einem fixen Zeitpunkt architektonisch projektiert werden, ihr Nutzungsangebot darf nicht aus einem oder aus wenigen Investoreninteressen abgeleitet sein. Da hilft auch die künstliche Mischung der Funktionen und der architektonischen Form im nachhinein nur noch wenig. Der europäische Großstadtplatz hat nichts mit der privat kontrollierten "Centerworld" an den Peripherien zu tun, mit den Einkaufszentren, Bürozentren und Freizeitzentren, wo sich der öffentliche Raum in riesige Autostellplätze verflüchtigt hat.
Auch die aktuelle Zentrumsplanung hat die Besonderheiten der einzelnen öffentlichen Räume nicht angemessen berücksichtigt. Sämtliche Großprojekte - der Alexanderplatz, die Friedrichstraße, der Potsdamer Platz, der Lehrter Bahnhof sowie vor allem das Parlaments- und Regierungsviertel am Spreebogen - wurden als insuläre Projekte angesehen, deren Verknüpfung durch urbane öffentliche Räume mitnichten gewährleistet ist. Dazu kommt der Versuch der Entwertung von Straßen durch private Malls oder Passagen parallel zum öffentlichen Raum - etwa bei den "FriedrichstadtPassagen" und am Potsdamer Platz. Die europäische Stadt definiert sich nicht in erster Linie durch Architektur, sondern durch den Stadtraum. Gegen die nordamerikanische, verschwenderisch in monofunktionale Flächen segmentierte Stadt, deren Vermittlung über das Automobil erfolgt, steht die europäische Tradition und Erfahrung der Vernetzung zentraler Straßen und Plätze über ein Kontinuum öffentlicher Räume, die nicht nur verschiedene Nutzungen erlauben, sondern auch unterschiedlichen sozialen Gruppen offen stehen. Die muß auch die Berliner Zentrumsplanung berücksichtigen.
Das Konzept der "europäischen Stadt" suggeriert einen Gegensatz zwischen US-amerikanischer und europäischer Großstadt. Aber damit werden die Verhältnisse diesseits wie jenseits des Atlantiks unangemessen vereinfacht. Heute vom Konzept einer europäischen Stadt zu sprechen setzt einen kulturellen Bruch mit modernen Konzeptionen voraus, die nicht unbedingt als US-amerikanisch bezeichnet werden können, auch wenn darin zweifellos US-amerikanische Verhältnisse verarbeitet wurden. Diese Konzeptionen umfaßten die Visionen vom geordneten Wachstum des Automobilverkehrs und von der geordneten Verteilung der Hochhäuser. Vor diesem Hintergrund ist die "europäischen Stadt" ein kultureller Kampfbegriff, kein analytischer Begriff. Denn manche Elemente des Modells der "amerikanischen Stadt" hat die europäische Stadt im Zuge ihres Niederngangs selbst hervorgebracht: Öffnung des Zentrums für den Automobilverkehr, Ausradierung aller Nicht-City-Zonen im Zentrum, Zerstörung des überkommenen Gleichgewichts städtischer Lagen, Beseitigung der historischen Zeugnisse, Ignoranz gegenüber öffentlichen Räumen und deren Reduktion auf funktional verödete Architekturräume, Abkehr von der Parzelle zugunsten des Baublocks in einer Hand, Zerstörung der Höhenverhältnisse der Stadtsilhouette, Peripherisierung zentraler Funktionen in monofunktionale "Centers".
Das Berliner Zentrum hat einige Besonderheiten, die es von anderen Zentren unterscheiden und deren Kenntnis für eine verantwortungsbewußte Zentrumsplanung und -gestaltung heute unverzichtbar ist. Dazu gehört in erster Linie die Kombination von absolutistischem Stadtgrundriß und dominanter kaiserzeitlicher Bebauung, die von den Zeugnissen der gespaltenen Stadt städtebaulich wie baulich überformt wurde. Dazu zählt weiter die ausgeprägte polyzentrale Struktur der Gesamtstadt, die nach der Spaltung Berlins durch die Festigung zweier Hauptzentren noch einmal verstärkt wurde. Was die innere Struktur des historischen Zentrums anbelangt, so sind in erster Linie der historische Gegensatz zwischen östlichem und westlichem Teilzentrum, dann die nicht-zentralistische Struktur des Zentrums sowie die herausgehobene Bedeutung gestalterisch wie funktional differenzierter Ost-West-Hauptstraßenzüge und schließlich die konkrete Form der Hauptstadtverortung hervorzuzuheben.
Die wichtigste Besonderheit des historischen Zentrums war der Gegensatz zwischen dem erstrangigen westlichen Teilzentrum, der eigentlichen City, und dem zweitklassigen, "zurückgebliebenen" östlichen Teilzentrum. Beide Teilzentren hatten ihre Schlüsselplätze: das westliche den Potsdamer Platz, das östliche den Alexanderplatz. Historische Voraussetzungen der gegensätzlichen Entwicklung waren insbesondere die Westorientierung des Stadtschlosses spätestens seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, die Anlage der wichtigsten Bahnhöfe der Stadt am Rande des westlichen Teilzentrums und das sozial unterschiedliche Hinterland der beiden Teilzentren - der bürgerliche Westen zum einen und der proletarische bis subproletarische Osten und Nordosten zum anderen.
Die Gegensätzlichkeit zwischen westlichem und östlichem Stadtzentrum spiegelte sich im Stadtgrundriß, in der Parzellenstruktur, den Bauten, der Bewohnerschaft und den Nutzergruppen wider. Besonders zugespitzt war dieser Gegensatz im Herzen des Gesamtzentrums, auf der Spreeinsel - hier aber als Nord-Süd-Gegensatz. Seit der Kaiserzeit bemühten sich Stadtplaner und Politiker, diesen Gegensatz durch einen radikalen Kahlschlag und eine Modernisierung des östlichen Teilzentrums aufzulösen. Diese Versuche waren bis zum Zweiten Weltkrieg nur sehr fragmentarisch erfolgreich. Nach dem Krieg modifizierte die DDR den historischen Gegensatz auf ihre Weise: durch strategische Vernachlässigung der Dorotheen-/Friedrichstadt, der ehemaligen City, sowie durch die nahezu spurlose Beseitigung der überkommenen Reste der Altstadt sowie durch den Aufbau eines modernen, realsozialistischen Stadtzentrums auf der leergeräumten Fläche des ehemaligen östlichen Teilzentrums.
Nach 1989 wurde das Rad der Geschichte wieder zurückgedreht, die ehemalige City feierte eine eindrucksvolle Wiederkehr, das in der DDR-Zeit aufgewertete östliche Teilzentrum fiel in seine Zweitrangigkeit zurück. Diese Verschiebung war kein Ergebnis der Stadtplanung, sondern des sich an den historischen Verhältnissen orientierenden Marktes. Für das östliche Teilzentrum sind keine vergleichbaren Investorenprojekte zu verzeichnen wie für das westliche - mit Ausnahme natürlich des Megaprojektes Alexanderplatz. Doch bei diesem Projekt wurden die alten Fehler der letzten 100 Jahre wiederholt: Ziel war nicht eine Weiterentwicklung des "Platzes des Ostens", sondern ein Retortenprojekt, das mit dem Umfeld radikal bricht und nur als Brückenkopfprojekt, als importierter "Platz des Westens" betrachtet werden kann.
Gegenüber der Vorkriegszeit haben sich natürlich die sozialen Verhältnisse, die sich mit dem Berliner "Osten" und dem Berliner "Westen" verbinden, erheblich verändert. Daß sie aber in veränderter Form weiter existieren, kann niemand ernsthaft bestreiten. Heute repräsentiert das östliche Teilzentrum das ehemalige Ost-Berlin, während das westliche Teilzentrum - die künftige City - als neuer Vorposten von West-Berlin bzw. des "Westens" gelten muß. Das östliche Teilzentrum sollte nicht bis zur Unkenntlichkeit kolonialisiert und assimiliert werden, sondern als solches weitergebaut werden - nicht in Fortschreibung der Zweitrangigkeit, sondern als Anerkennung einer komplexen Tradition mit durchaus eigenen, oft verborgenen Qualitäten. So findet sich im östlichen Teilzentrum ein besonderer Edelstein, dessen Entstehungsgeschichte freilich weniger rühmlich ist: der große Freiraum zwischen Palast der Republik und S-Bahnhof Alexanderplatz mit der Marienkirche und dem Fernsehturm. Dieser Edelstein muß aber noch geschliffen werden, um das Gesamtzentrum wirklich bereichern zu können.
Die Spreeinsel ist der Übergangsraum zwischen westlichem und östlichem Teilzentrum, und es kann nicht verwundern, daß gerade hier die Auseinandersetzung um die künftige Prägung besonders erbittert geführt wird. An der Spreeinsel wird sich die Fähigkeit der herrschenden Kräfte Berlins erweisen, eine Ost-West-Verständigung herbeizuführen und keine Ostkolonisation. Eine Verständigung kann aber nicht eine Fortschreibung des Status quo bedeuten: Der Erhaltung wichtiger baulicher Zeugnisse der DDR-Zeit muß eine städtebauliche Neuordnung folgen, die den historischen Gegensatz zwischen herrschaftlichem Norden und stadtbürgerlichem Süden zeitgemäß interpretiert.
Das für die Zentrumentwicklung bedeutendste städtebauliche Erbe ist die nicht-zentralistische Struktur des Zentrums, die zwar schon in der mittelalterlichen Doppelstadt angelegt war, die aber vor allem in den historischen Neustädten bzw. deren Gittergrundriß ihre ausgereifte Form gefunden hat. Die alte Friedrichstadt kannte - abgesehen vom Gendarmenmarkt - keine herausgehobenen Plätze und Straßen. Die Friedrichstadterweiterung modifizierte diese Struktur durch die Betonung der stadtauswärts führenden Hauptstraßen - der Friedrichstraße und der Leipziger Straße. Zusammen mit der Prachtstraße Unter den Linden war damit die besondere Struktur der regelmäßigen barocken Stadterweiterungen geschaffen. Diese Struktur wurde durch keinen zentralen Platz beherrscht, sondern mit peripheren Plätzen innerhalb der Stadttore (Quarré - Pariser Platz, Oktogon - Leipziger Platz, Rondell - Mehringplatz) bereichert, die die drei herausgehobenen Straßen noch einmal städtebaulich akzentuierten.
Dieser Grundriß ermöglichte in der Kaiserzeit eine relativ gleichwertige Verteilung zentraler Lagen, sperrte sich also gegen die Aufwertung weniger und die Abwertung vieler Lagen; damit spiegelte er Verhältnisse wider, die der Dynamik einer Großstadtcity angemessen waren. Es ist vor allem diese überkommene flexible Struktur, die die Dorotheen- und Friedrichstadt trotz des Verlustes der Bahnhöfe wieder zum Kernbereich des Berliner Zentrums machen wird. Wichtigste Prämisse jeder städtebaulichen Konzeption muß es daher sein, die Schaffung hyperzentraler Punkte innerhalb oder am Rande des Zentrums zu verhindern. Nur so kann die positiv zu bewertende Grundstruktur des Berliner Zentrums weiterentwickelt werden. Das bedeutet in städtebaulicher Hinsicht eine relativ gleichwertige Dichte und in stadtgestalterischer Hinsicht den Verzicht auf das antiquierte Konzept von Hochhäusern, die die benachbarten Gebäude überragen.
Bei der Stadtgründung Berlins leistete eine bedeutende mittelalterliche Fernstraße Geburtshilfe, die in Höhe des Mühlendamms die Spree passierte. Innerhalb der mittelalterlichen Stadt führte dieser Straßenzug von der Gertraudenstraße über den Mühlendamm zur Spandauer und Oderberger Straße und passierte dabei eine Reihe von Plätzen. Dieser mittelalterliche Hauptstraßenzug wurde in der absolutistischen Zeit durch die Leipziger Straße zwischen Spittelmarkt und Leipziger Platz verlängert.
Erst in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde ein zweiter Ost-West-Hauptstraßenzug geschaffen, nachdem die Allee Unter den Linden in der Kaiser-Wilhelm-Straße eine Fortsetzung nach Osten gefunden hatte. Allen weiteren Versuchen, zwischen diesen beiden Ost-West- Hauptstraßenzügen noch einen dritten anzulegen - in Höhe der Jägerstraße oder der Französischen Straße - scheiterten bis zum Zweiten Weltkrieg.
Nach 1945 wurde die überkommene Struktur der Hauptstraßen stark modifiziert - dem nördlichen Hauptstraßenzug entsprach im Süden eine autogerechte Transitzone, die zwischen Spittelmarkt und Alexanderplatz jede Aufenthaltsqualität vermissen ließ. Im Zuge dieser Modifizierung wurde die ehemalige Königstraße (heute Rathausstraße) zum Fußgängerbereich, an ihrer Nordseite erstreckt sich seither der große Freiraum um den Fernsehturm. Zentrumsplanung bedeutete seit der frühen Kaiserzeit bis zur DDR-Zeit vor allem: Ausbau der großen Ost-West-Hauptstraßenzüge in Profil und Zahl. Dieser Ausbau sollte dem steigenden Verkehr mehr Raum verschaffen.
Von außerordentlicher Bedeutung für die Zukunft des Berliner Zentrums ist die künftige Gestaltung der beiden großen Ost-West-Straßenzüge zwischen Alexanderplatz und Potsdamer Platz sowie zwischen Alexanderplatz und Pariser Platz. Diese Aufgabe wurde bislang noch allzu selten im Zusammenhang gesehen, erörtert und geplant. Da diese Straßenzüge für die Vernetzung des gesamten historischen Zentrums entscheidend sind, wäre ein abgestimmtes Rahmenkonzept erforderlich, das eine Reurbanisierung der Straßen anvisiert - durch eine gestalterische und funktionale Verbesserung des öffentlichen Raumes sowie eine Reduzierung des ruhenden und fahrenden Kfz-Verkehrs.
Bislang beziehen sich Planungen und Gutachten dagegen eher fragmentarisch und isoliert auf die Straße Unter den Linden mit dem Pariser Platz, die östliche Leipziger Straße, die Gertraudenstraße mit Spittelmarkt oder die Grunerstraße. Im Zusammenhang mit den Hauptstraßenzügen sind insbesondere noch zwei komplexe gestalterische Hauptaufgaben zu bewältigen: die Qualifizierung des großen Freiraums zwischen Palast der Republik und S-Bahnhof Alexanderplatz sowie die Restituierung des historisch wichtigsten stadtbürgerlichen Hauptstraßenzuges von Berlin, der Straßen- und Platzfolge zwischen Potsdamer Platz und Alexanderplatz.
Hauptstadt Berlin - das weist nicht nur in die Zukunft, sondern auch in die - nicht immer heitere - Vergangenheit. Der Blick zurück zeigt: Berlin war seit der Barockzeit durch eine Dezentralität der Regierungsstandorte gekennzeichnet. Diese Situation war kein Ergebnis planerischer Bemühungen, im Gegenteil: Sie verfestigte sich trotz aller Anstrengungen zur zentralistischen "Rationalisierung". Die entsprechenden Planungen, vor allem in der Weimarer Republik, scheiterten letztendlich an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Der privatisierte, über Parzellen vermittelte Bau und Umbau der Stadt erschwerte die ressortorientierte räumliche Konzentration ungemein.
Die Hauptstadtfunktionen waren daher in der Vergangenheit relativ stadtverträglich verteilt. Doch die historische Standortentwicklung barg bereits eine große Gefahr in sich: die Tendenz zur Bildung von stadträumlichen Barrieren, die die Struktur des Zentrums insgesamt bedrohen. Die Geschichte der Hauptstadt Berlin ist auch eine Geschichte der Barrieren von Regierungsfunktionen in der Stadt.
Die Zwingburg der Hohenzollern wurde im 15. Jahrhundert zur Sicherung der Herrschaft über die Bürgerstadt errichtet, blieb aber von dieser sicherheitshalber durch einen Wassergraben abgekapselt. Die Lage des Herrschaftsbaus war von außerordentlicher strategischer Bedeutung: Das Schloß wurde außerhalb der Doppelstadt plaziert, aber an der Stelle, die die Herrschaft über Berlin und Cölln optimal sicherte. Zur wichtigsten Straße des bürgerlichen Berlin hielt es Abstand. Damit stellte es sich zugleich ins Abseits der Hauptverkehrsstraßen. Das änderte sich auch nach Anlage der Straße Unter den Linden nicht, im Gegenteil: Das Schloß bildete eine Art Riegel zwischen der neuen Dorotheenstadt und der Bürgerstadt im Osten. Erst der Durchbruch der Kaiser-Wilhelm- Straße in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts, dem auch ein Teil des Schloßbereichs geopfert wurde, beendete diese Situation.
Das Schloß als Sitz der Herrschaft über Stadt und Land erwies sich bereits während des Aufschwungs Berlins nach dem Dreißzigjährigen Krieg als zu klein. In der Barockzeit begann die Auslagerung herrschaftlicher Funktionen in die Stadt, oder genauer: in die westlichen barocken Stadterweiterungen. Diese Auslagerung führte bald zu einer neuen Konzentration von Herrschaftsfunktionen am westlichen Rande der erweiterten Stadt: im Bereich der Wilhelmstraße. Zunächst entwickelten sich die neuen Behördenstandorte nur langsam, häufig im Zuge einer gleitenden "Zweckentfremdung" der Palais führender Beamter.
Die sich im 19. Jahrhundert verfestigende Konzentration von Ministerialfunktionen an der Wilhelmstraße stellt sich auf den ersten Blick als geradezu klassische stadträumliche Barriere dar, die die Verknüpfung der City mit den Stadterweiterungen der Kaiserzeit im Westen behinderte. Auf den zweiten Blick erscheint diese Barriere nicht ganz so problematisch, grenzte sie doch hauptsächlich an einen nicht verstädterten Bereich, den Tiergarten, den ja zwischen Pariser Platz und Leipziger Platz keine Straße in Ost-West-Richtung mehr querte. Dazu kam, daß diese Barriere von den beiden wichtigsten Ost-West-Straßenzügen des Zentrums gekreuzt und damit "durchbrochen" wurde: der Straße Unter den Linden und vor allem der Leipziger Straße.
Nach dem Sturz des Kaiserreiches hatte sich die Wilhelmstraße endgültig - so schien es jedenfalls - funktional wie räumlich vom Schloßareal abgenabelt. Die Altstadt von Berlin war nun im wesentlichen von Regierungsfunktionen geräumt. Trotz aller Zentralisierungspläne der Zwischenkriegszeit für einen neuen Regierungsstandort im Westen der City änderte sich an der Struktur der Regierungstandorte grundsätzlich nichts mehr: Die Wilhelmstraße war weiterhin die zentrale Herrschaftsachse des Deutschen Reiches - in der Weimarer Republik und, erheblich aufgeplustert, im "Dritten Reich".
Auch die Spaltung Berlins brachte nur wenig Bewegung in diese Verhältnisse. Der (West-Berliner) Spreebogen, seit dem Bau des Reichstags gewichtiger neuer Standort für staatliche Institutionen - verwaiste. Die alte Herrschaftsbarriere Wilhelmstraße blieb - wenn auch weniger im veröffentlichten Bewußtsein und räumlich stark reduziert - ein wichtiger Standort für Regierungsfunktionen in der DDR. Bemerkenswert war dagegen die Rückkehr von zentralen staatlichen Einrichtungen in den Dunstkreis des ehemaligen, abgerissenen Hohenzollernschlosses: Staatsratsgebäude, Außenministerium, Gebäude des Zentralkomitees der SED und - in geringerem Maße - Palast der Republik bildeten ein neues Herrschaftsforum. Durch die Rückkehr des Regierungszentrums auf die Spreeinsel wurden die Verhältnisse umgedreht. Orientierte sich das Schloß städtebaulich - quasi mit dem Rücken zur Bürgerstadt - in Richtung Westen, so markierte das neue Herrschaftsforum der DDR den Abschluß der neuen sozialistischen Stadt gegen Westen; vor allem das Außenministerium signalisierte als überhöhter Bauriegel das Ende des modernen Zentrums, hinter dem die weithin vernachlässigte alte City vor sich hin dämmerte. Damit war eine zweite stadträumliche Barriere geschaffen.
Nach der "Wende" ergab sich die kuriose Situation, daß die Besetzung des weiteren Schloßareals durch Schaltstellen der DDR die neuen Verhältnisse der Bundeshauptstadt mitbestimmen sollte - durch die Kontinuität zwischen dem Bodeneigentums des DDR-Staates und jenem der neuen Bundesrepublik. Die Tatsache, daß der Bund als Erbe der DDR-Herrschaftsflächen diese wieder für Regierungsfunktionen nutzen wollte, blieb im übrigen außerhalb aller offiziellen Diskussion. Um Kontinuität und Bruch in der Architektur und Stadtgestalt wurde heftigst gestritten, das Eigentum, auch wenn es ein reines DDR-Vermächtnis ohne historische Tradition darstellte, war hingegen materiell wie ideologisch offenbar so gewichtig, daß sich daran keine Diskussion zu entzünden wagte.
Als Folge der deutschen Vereinigung war Berlin daher mit der Existenz zweier potentieller Hauptstadtbarrieren konfrontiert: der alten, stadträumlich aber geschrumpften Barriere der Wilhelmstraße, die durch den Wohnungsbau an der Otto-Grotewohl-Straße (heute wieder Wilhelmstraße) ein neues Profil erhalten hatte, und der neuen Barriere auf der Spreeinsel, die sich vom Lustgarten bis zum Mühlendamm breit machte. Lange vor Beginn der Diskussion um die Unterbringung von Ministerien und des Bundespräsidenten war dieses Problem offensichtlich.
Zwei Barrieren, womöglich verstärkt durch neue Anforderungen an Raumzuwachs und Sicherheit, konnte das Berliner Zentrum nicht verkraften. Darüber bestand Konsens - in Berlin wie Bonn. Doch was war zu tun? Hier stritten sich die Verantwortlichen. Notwendig war es zunächst, die Barrieren zu durchlöchern. So war eine Verbindung der stadtbürgerlichen Funktionen der Wilhelmstraße nach Norden wie Süden hin zu sichern. Auf der Spreeinsel galt es, den Riegel zu lockern. Die Breite Straße könnte durch einen radikalen Rückbau mittelfristig wieder eine lebendige, parzellenvermittelte Straße erster Qualität werden. Die überkommene Bebauungsinsel westlich des ehemaligen Bauministeriums bildet bereits heute einen Ansatzpunkt für ein gestaltreiches und multifunktionales Zentrumsquartier. Im Bereich des ehemaligen Werderschen Marktes kann wieder eine durchmischte Stadt gebaut werden. Schließlich gibt der geplante Wiederaufbau der Schinkelschen Bauakademie der Hauptstadt die einzigartige Chance, wenigstens einen gewichtigen Teil des Gebäudes wieder der Wissenschaft zu widmen - am besten einer wiedergegründeten Bauakademie mit ausdrücklichem Bezug zur Tradition und Zukunft der europäischen Stadt. Die kleinteilige Zerstückelung der potentiellen Barrieren ist aber nur eine Seite der großen stadträumlichen Aufgabe, die Stadt Berlin zur Bundeshauptstadt zu qualifizieren. Notwendig ist weiter die Sicherung und Fortentwicklung des historischen doppelten "Durchbruchs" städtischer Hauptstraßen, der die negativen Wirkungen von Barrieren begrenzen kann: Regierungsfunktionen sollten weder den "Linden" noch der Leipziger Straße ihren Stempel aufdrücken.
Inzwischen - nach der Aufgabe der kostspieligen Planungen für umfangreiche Regierungsneubauten - scheint zumindest ein Weiterwuchern der historischen Barrieren gestoppt. Doch die finanziell erzwungene "Behutsamkeit" könnte trügerisch sein: Offen bleibt, was aus den nach aktuellem Planungsstand nicht mehr bebauten, zunächst aber für Regierungsneubauten vorgesehenen Flächen werden soll. Offen bleibt, wie lange die aktuelle Sparfassung Bestand haben wird. Offen bleibt, wie die großen Ost-West-Hauptstraßen - die potentiellen Stadtbreschen durch die Regierungsbarrieren - gestaltet werden sollen: als Autotrassen oder als Stadtstraßen. Offen bleibt vor allem auch, wann die Bundesregierung ihre starre Haltung aufgibt, nach der die Erdgeschoßbereiche der langen Fronten von Regierungsbauten nicht für Läden und andere städtische Dienstleistungseinrichtungen genutzt werden dürfen. Eine solche Haltung widerspricht den Regeln der Stadtbaukunst. Die Standorte staatlicher Einrichtungen drohen auch weiterhin als Barrieren das Zentrum zu belasten.
Bei der Entwicklung und Planung des Zentrums wurde zu keiner Zeit große Rücksicht auf das bauliche Erbe genommen. Dies galt für die Zeit des Absolutismus, das frühe 19. Jahrhundert und die Kaiserzeit. Das galt insbesondere für die Konzeptionen der städtebaulichen Moderne, aber auch für die Planungen der Natinalsozialisten. Folge dieser Entwicklung war eine weitgehende Zerstörung der Qualitäten des Zentrums.
Diese Ignoranz hatte durchaus verständliche Ursachen, die mit den Besonderheiten einer östlichen "Kolonialstadt" zusammenhängen: so etwa mit dem Fehlen eines stabilen, Traditionen begründenden wie bewahrenden Mittelstandes, mit der Existenz einer wenig selbstbewußten herrschenden Klasse, die ihre Stadt immer wieder als rückständig betrachtete und mit dem Kopieren anderer Kulturen Geltung zu beanspruchen suchte, letztlich auch mit einem - nüchtern betrachtet - eher bescheidenen Bestand an herausragenden Bauwerken. Man vergleiche nur die Marienkirche und die Nikolaikirche mit dem Dom, der Katharinenkirche und der Gotthardtkirche in Brandenburg an der Havel! Selbst die absolutistischen Herrscher konzentrierten letztlich ihren Ehrgeiz eher auf Potsdam und verjagten einen Baumeister wie Schlüter. Lediglich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kann Berlin mit den Werken Schinkels europäische Geltung beanspruchen - wenngleich keineswegs als einzige deutsche Stadt. Und auch die Pläne und Werke Schinkels setzten oft die Mißachtung der überkommenen Stadt voraus und wurden später selbst nicht immer respektiert.
Und die Kaiserzeit, die in baulicher Hinsicht das Zentrum prägende Epoche? Kaufhaus Wertheim und Hotel Adlon, Dom und Reichstag sind zweifellos beeindruckende Bauten - aber zum Teil auch Zeugnisse eines wenig gefestigten kulturellen Fundaments. Die "goldenen zwanziger Jahre" schließlich erzeugten eine Flut von Papierprojekten, haben aber im Zentrum nur wenige architektonische Spuren hinterlassen. Über alle politischen und gesellschaftlichen Brüche hinweg blieb lediglich das herrschende städtische Bewußtsein stabil, in einer Stadt zu wirken, die nicht auf der Höhe der Zeit ist, die erst auf diese Höhe gebracht werden muß - ohne große Rücksicht auf das Überkommene, das ja nur Rückständigkeit verkörperte. In der grenzenlosen Geringschätzung der Altstadt Berlins fand dieses Bewußtsein seinen prägnantesten Ausdruck.
Nach 1989 feierte dieser Mangel an Selbstbewußtsein seine elementare Wiederauferstehung. Von neuem schämte sich die herrschende Klasse ihres Zentrums, besonders der Bereiche, die seit den sechziger Jahren in der DDR umgebaut worden waren; von neuem sah sie ihre Stadt nicht gleichauf mit der eingebildeten Konkurrenz von London und Paris; von neuem sollte durch den Import von Stadtmodellen der Anschluß an die Weltspitze geschafft werden, und von neuem galt das Überkommene als Zeichen der Rückständigkeit und wurde zur Disposition gestellt. Inzwischen ist aber eine solche Haltung nicht mehr so eindeutig dominant, die Gegenposition einer selbstbewußten Anerkennung der - durchaus widersprüchlichen - eigenen Tradition Berlins hat an Boden gewonnen. Das Modell einer "europäischen Stadt" orientiert auf eine Stadt, die ihre Geschichte in der Zukunft bewahrt.
Heute geht es um eine ausgewogene Erhaltung der historischen Stadt in ihren Strukturen und Bauten vor 1945 wie auch um eine Weiterentwicklung erhaltungswürdiger Zeugnisse des DDR- Städtebaus. Ziel muß es sein, Geschichte ablesbar zu belassen, die überkommene Stadt nicht zu ignorieren, sondern weiterzubauen. Das erfordert auch eine politische Stärkung der Denkmalpflege. Die Existenz einer strukturell nicht gebremsten und politisch nicht eingeschüchterten Denkmalpflege ist eine wichtige Voraussetzung für den fachlichen und politischen Abwägungsprozeß, der helfen könnte, die verflachende Konzeption von "kritischer Rekonstruktion der Stadt" zu überwinden.
Durch die Zulassung einer überzogenen, unerträglichen Baudichte hat der Druck in Richtung Abriß der wenigen überkommenen Bauten aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg dramatisch zugenommen. Bis heute vernachlässigt die Stadtpolitik den Schutz dieser Bauwerke, der durch geeignete Instrumente der Stadtplanung und des Denkmalschutzes dringend sichergestellt werden muß. Notwendig ist aber nicht nur die fürsorgliche Erhaltung historischer Gebäude und Stadträume, sondern auch eine gestalterische Unterordnung neuer Gebäude unter den Maßstab der historischen Stadt, das heißt Respekt vor der Berliner Traufhöhe, Respekt vor den Baulinien, weitestmögliche Berücksichtigung der Parzellenstruktur. Dies gilt insbesondere für die Dorotheen-/Friedrichstadt mit ihrem noch weitgehend vorhandenen historischen Straßen- und Blockgefüge.
Nun war die Geschichte 1945 nicht zu Ende. Eine Weiterentwicklung des Zentrums von Berlin muß sich auch mit den baulichen und städtebaulichen Hinterlassenschaften der DDR-Zeit auseinandersetzen, nüchtern und vorurteilsfrei, mit dem Ziel einer weitgehenden Einbindung dieser Zeugnisse der deutschen Geschichte in die Stadt von morgen. Doch was können die Kriterien einer vorurteilsfreieren Beurteilung sein? Zumindest zwei können gegenwärtig schon benannt werden. Zum einen ist die Gebrauchsqualität der jeweiligen Bauten und Räume für das künftige gesamtstädtische Zentrum zu prüfen, eine Frage, die nur durch umfassende sozialräumliche Studien unter Einbezug der betroffenen Bürger angegangen werden kann. Damit verknüpft ist zum anderen die Frage nach der städtebaulichen Kohärenz und historischen Bedeutung der jeweiligen Stadträume.
Zu unterscheiden wären hier zunächst Stadträume, bei denen die städtebaulichen Bemühungen in der DDR-Zeit zu einem gewissen Abschluß gekommen sind. Dazu zählen etwa die Allee Unter den Linden, der östliche Abschnitt der Leipziger Straße, die Fischerinsel, der Alexanderplatz, der Freiraum zwischen Alexanderplatz und Spree, der Platz der Akademie (heute Gendarmenmarkt), das Nikolaiviertel und die Otto-Grotewohl-Straße (heute Wilhelmstraße). Dann zweitens Räume, bei denen trotz großer Anstrengungen dieser Abschluß in der DDR-Zeit infolge ständig sich ändernder Rahmenbedingungen nicht oder nicht mehr erreicht werden konnte - etwa die Friedrichstraße, aber auch der Marx-Engels-Platz (jetzt Schloßplatz). Und drittens Räume, die keine besonderen städtebaulichen Anstrengungen erfahren haben, so etwa der Leipziger Platz, der Pariser Platz, ja große Teile der ehemaligen Dorotheen-/Friedrichstadt, dann der Bereich zwischen Marx- Engels-Platz und Fischerinsel, die Gebiete zwischen Karl-Liebknecht-Straße und Stadtbahntrasse bzw. zwischen Rathausstraße und Spree. In der Spandauer Vorstadt finden sich Beispiele für Stadträume aller drei Kategorien. Zur ersten ist ohne Zweifel die Sophienstraße zu rechnen.
Ausgangspunkte einer "kritischen Rekonstruktion der Stadt" im Sinne der Wiederherstellung des Stadtgrundrisses vor 1945 sollten in erster Linie die Räume der zweiten und dritten Kategorie sein. Dabei muß die Besonderheit jedes einzelnen Ortes berücksichtigt werden. Während am Schloßplatz über die Neuformung des barocken Stadtraums unter Einschluß von Staatsratsgebäude und Palast der Republik nachgedacht wird, müßten im Bereich zwischen diesem Platz und der Fischerinsel neue, kleinteiligere Strukturen geschaffen werden, die eine abwechslungsreiche Nutzungsfolge auch längerfristig sichern helfen. Besondere Aufmerksamkeit und Behutsamkeit erfordert der Umgang mit den Stadträumen der ersten Kategorie. Vor allem hier muß vorab eine Untersuchung der Gebrauchsqualität in gesamtstädtischer Perspektive - wie etwa bei der Fischerinsel geschehen - erfolgen. Nach einer solchen Prüfung wären die erhaltens- bzw. entwicklungswerten städtebaulichen Anlagen durch geeignete planungs- bzw. denkmalschutzrechtliche Instrumente zu schützen, etwa durch den Erlaß von Erhaltungsverordnungen in Verbindung mit der Ausweisung geschützter Baubereiche nach dem Baugesetzbuch bzw. dem Denkmalschutzgesetz Berlin.
Die Frage des Umgangs mit den Zeugnissen der DDR berührt aber nicht nur im engeren Sinne städtebauliche, sondern auch allgemein geschichtliche Fragen. Die Geschichte der Spaltung ist die Besonderheit Berlins, die weltweit die größte Aufmerksamkeit erfahren hat. Diese Geschichte darf nicht wieder - wie in erheblichem Maße die Geschichte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft - durch Abrisse und Neubauten städtebaulich entsorgt werden.
Ohne das historisch völlig neue Phänomen des Massenverkehrs des 19. Jahrhunderts wäre keine City möglich gewesen. Dieser Massenverkehr war bis zum Zweiten Weltkrieg in erster Linie ein schienengebundener öffentlicher Personenverkehr. Die Zentren des Verkehrs - die zentrumsnahen Fernbahnhöfe sowie die Knotenpunkte der Straßenbahn-, S-Bahn- und U-Bahnenlinien - fungierten als Motoren der Citybildung.
Der wichtigste Beitrag zur Entwicklung eines nicht-zentralistischen Zentrums war im 19. Jahrhundert die Anlage dezentraler Bahnhöfe der Fernbahn, Stadtbahn und U-Bahn. Auch heute sollte die öffentliche Hand bei der Produktion der Verkehrsinfrastruktur die relativ gleichwertige Stadtstruktur des Zentrums nicht verletzen. Das gilt in erster Linie für die Planung neuer Fernbahnhöfe. Ein einziger zentraler Superbahnhof im Bereich des Lehrter Bahnhofs wäre nicht nur stadtökologisch bedenklich, sondern auch mit der nicht-zentralistischen Struktur des Zentrums unvereinbar. Hier wäre ein Bahnhofssystem wünschenswert, das den Lehrter Bahnhof nicht allzusehr über die weiteren geplanten IC-Bahnhöfe stellt. Auch die Anlage neuer U-Bahnen darf die Zentralität einzelner Punkte, etwa des Potsdamer Platzes, nicht über Gebühr erhöhen. Flankiert werden sollte das Schnellbahnsystem durch ein Verkehrsmittel, das in ganz besonderer Weise Berliner Verkehrstradition verkörpert: die Straßenbahn. Ihre Wiedereinführung auch im Zentrum wäre eine Maßnahme, die die nicht-zentralistische Struktur des Zentrums wirkungsvoll unterstreichen könnte.
Historisch gesehen war die Verknüpfung des Zentrums mit der übrigen Stadt immer ein Problem. Paradebeispiel dafür war das Nadelöhr Potsdamer Platz. Seit den späten zwanziger Jahren versuchten die Planer, dieses Problem durch eine Öffnung des Zentrums für den Automobilverkehr zu lösen. Heute wissen wir, daß sowohl der fließende als auch der ruhende Kraftfahrzeugverkehr mit den überkommenen europäischen Großstadtzentren nicht vereinbar ist. Die Vision der zwanziger Jahre von einer geordneten Anpassung der europäischen Stadt an den wachsenden Automobilverkehr ist gescheitert. Die internationalen Erfahrungen mit der autogerechten Stadt lassen den Schluß zu, daß überhaupt nur ein autoarmes Zentrum, das den motorisierten Individualverkehr drastisch reduziert und dem Schienenverkehr wieder absoluten Vorrang gibt, stadtverträglich ist. Nur durch eine solche Zielsetzung kann eine Polarisierung der Lagen je nach Autoverkehrsbelastung vermieden werden. Berlin ist in dieser wichtigen Frage erstaunlich rückständig. Die realistische und zukunftsorientierte Option eines autoarmen Zentrums darf nicht weiter durch falsche Weichenstellungen blockiert werden. Mittelfristig impliziert das den Verzicht auf jede Verkehrsbündelung in irgendeiner Straße des Zentrums und auf jede Massierung von Kfz- Stellplätzen innerhalb des Zentrums. Das bedeutet auch den Rückbau der beiden Ost-West- Hauptstraßenzüge zwischen Alexanderplatz und Potsdamer Platz sowie Alexanderplatz und Pariser Platz. Nach Abschluß der großen Bauarbeiten im Zentrum sollten nur noch diese beiden Straßenzüge über zwei Fahrspuren in jede Richtung verfügen, wovon eine Bussen, Taxis und - in der Leipziger Straße - Straßenbahnen vorbehalten sein sollte. Die übrigen Straßenzüge könnten zumindest mittelfristig den Autos, vor allem dem Wirtschafts- sowie dem Ver- und Entsorgungsverkehr, zugänglich bleiben, aber nur auf einer Fahrspur pro Richtung. Gleichzeitig wäre das Parken für Einpendler im Zentrum - wie in westdeutschen Großstädten auch - zu erschweren. Eine große Bedeutung kommt dabei der von der Senatsbauverwaltung geplanten Beschränkung der maximal möglichen Stellplätze bei Neubauprojekten zu.
Das Zentrum einer europäischen Stadt ist auch heute noch - trotz aller gegenteiligen Behauptungen - mehr als ein Ortsteil neben anderen. Einige Orte, Gebäude, Denkmale und Namen des Zentrums sichern die Identität der Gesamtstadt für ihre eigenen Bürger wie für die Besucher der Stadt - ja sogar für diejenigen, die diese Stadt nie besuchen werden. Für West-Berlin waren die Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und das Europa-Center am Breitscheidplatz identitätsstiftende Bauten, für Ost-Berlin der Fernsehturm am nahegelegenen Alexanderplatz. Gesamt-Berlin wurde schon immer durch das Brandenburger Tor symbolisiert.
Seit dem Umbruch des Jahres 1989 wurden immer wieder neue Identifikationspunkte des historischen Zentrums entdeckt, verkündet, vermarktet: so der Potsdamer Platz, die Friedrichstraße, der Alexanderplatz, der Pariser Platz und vor allem der Bereich um das ehemalige Berliner Stadtschloß. Bei Gebäuden ist die Liste etwas kürzer: Neben dem Brandenburger Tor und dem Schloßphantom finden sich allenfalls noch der Dom oder das Berliner Rathaus. All diese Orientierungsversuche beziehen sich auf Orte und Bauten, die bereits vor 1945 existierten. Straßen und Plätze, deren bauliche Form heute in keiner Weise mehr an die Zeit vor 1945 erinnert, werden zumindest namentlich wiederhergestellt, etwa die Wilhelmstraße und - angesichts des aktuellen Stadtraums ein abwegiger Schritt - der Schloßplatz. Auch bei der Erörterung der Denkmallandschaft bleiben die Denkmäler der DDR-Zeit zumeist unberücksichtigt, ihnen wird oft unreflektiert jede Denkmalwürdigkeit abgesprochen.
Dabei würe zunächst zu prüfen, welche Ost-Berliner Beiträge aus der DDR-Zeit in ein künftiges Spektrum identitätsstiftender Orte, Gebäude und Namen zu integrieren sind. Unter den Gebäuden wäre zuallererst der Fernsehturm zu nennen, dessen Bau zwar auch ideologisch begründet war, dessen Nutzung und Gestalt aber einer Aneignung durch Gesamt-Berlin wenig im Wege steht. "Die alles überragende, aber durchaus nicht herrschaftssüchtige Dominante der Stadt", so Bruno Flierl schon 1990, "ist der Fernsehturm. Er ist für Ost-Berlin zum Stadtsymbol geworden wie der Eiffelturm in Paris. Er wird als ein solches Symbol auch in Berlin bestehen können, zumal er von überall her in der ganzen Stadt zu sehen ist." (S. 32) Dennoch hat das offizielle Berlin offenbar unsägliche Schwierigkeiten, den Fernsehturm positiv zu würdigen, während der Einzelhandel und andere privaten Akteure - insbesondere ein am Fuße des Turms arbeitender privater Fernsehsender - längst die potentielle Bedeutung dieses Bauwerks erkannt haben.
Bereichert wird die Reihe potentiell identitätsstiftender öffentlicher Räume zweifellos durch den großen Freiraum zwischen Palast der Republik und S-Bahnhof Alexanderplatz. Um seine Qualitäten zu entfalten, ist aber eine gestalterische Weiterentwicklung erforderlich. Auch im Umgang mit diesem Freiraum hat sich die Stadtpolitik bislang etwas schwergetan.
In der Frage der Umbenennung von Straßen und Plätzen wären mehr Gelassenheit, Ruhe und Nachdenken, mehr Ost-West-Vermittlung wünschenswert. Warum sollten die Namen Clara-Zetkin- Straße, Niederkirchnerstraße, Rosa-Luxemburg-Straße und Rosa-Luxemburg-Platz sowie Karl- Liebknecht-Straße nicht erhalten bleiben? Und der Schloßplatz sollte zumindest auf den Stadtraum vor dem Staatsratsgebäude und dem Neuen Marstall begrenzt werden.
Auch die noch vorhandenen Denkmäler der DDR-Zeit sollten nicht einem vorschnellen Bildersturm zum Opfer fallen. Das gilt insbesondere für das Marx-Engels-Denkmalsensemble, dessen konkreter Standort im Kontext der gestalterischen Weiterentwicklung des großen Freiraums überprüft werden könnte. Von ganz außerordentlicher Bedeutung ist aber ein anderes Denkmal des historischen Zentrums, einst ein Monument von größter städtebaulicher Bedeutung für Berlin: das Denkmal des "Großen Kurfürsten" von Andreas Schlüter, welches früher auf der Langen Brücke stand und bis 1945 an die Perspektive einer Ostorientierung des Schlosses, einer Aufwertung der Königstraße zur "via triumphalis" des preußischen Königtums, erinnerte. Diese Statue verkörperte die herrschaftliche Pracht der Residenzstadt auch östlich des Schlosses, in der östlichen Altstadt. Die in der Geschichte vielfach geschundene Altstadt von Berlin hat ein Recht auf die Rückführung dieses 1952 im Ehrenhof des Charlottenburger Schlosses aufgestellten Juwels, auf einen neuen Standort östlich der Spreeinsel.
Eine besondere Schwierigkeit stellt die Restitution öffentlicher Räume dar, die in der DDR-Zeit ausgelöscht oder vernachlässigt wurden, zur Identitätsstiftung des Zentrums aber in der Vergangenheit wesentlich beigetragen haben und als solche im gesellschaftlichen Gedächtnis weiter präsent sind. Nach der städtebaulichen Entkernung in der DDR-Zeit sind die weiten Stadträume manchen Ost-Berliner Bürgern vertraut geworden, während West-Berliner eher den Bildern der historischen Fotobände nachtrauern. Dennoch sollte ein öffentlicher Diskurs zur kritischen Rekonstruktion verschwundender Plätze eingeleitet werden. Dies ist im übrigen keineswegs nur ein Thema des Städtebaus im engeren Sinne, sondern auch der Stadtwirtschaft, der Stadtgesellschaft, der Stadtidentität. Wo eine kritische Rekonstruktion berühmter Plätze und Straßen der Vergangenheit nach Abwägung aller Gesichtspunkte möglich ist, sollte sie auch erfolgen. Das gilt etwa für den Werderschen Markt, den Schinkelplatz, den wirklichen (und nicht den heute so genannten) Schloßplatz, den Spittelmarkt, den Hausvogteiplatz, den Petriplatz, den Cöllnischen Fischmarkt, den Molkenmarkt. Gerade diese öffentlichen Räume prägten die nicht-zentralistische Struktur des Zentrums, sie waren Adressen von Rang, die heute nicht ohne Not ad acta gelegt werden sollten.
Die Expansion der City hat immer wieder zu problematischen Verdrängungseffekten geführt, die allerdings auch gewollt oder zumindest in Kauf genommen wurden. Das betraf insbesondere die einfachen Bewohner und Gewerbetreibenden in der Altstadt und in den Vorstädten im Norden und Osten des Zentrums. Ziel der seinerzeit geplanten Verdrängung war die Beseitigung der kleinteiligen Grundriß-, Parzellen-, Haus-, Sozial- und Nutzungsstruktur zugunsten monofunktionaler, von Bewohnern befreiter Großbauten auf Großparzellen zwischen autogerechten, breiten Straßen. Diese Verdrängungsstrategie war keineswegs immer erfolgreich, wie die Verhältnisse etwa im Fischerkietz oder in der Spandauer Vorstadt bis 1945 zeigen.
Heute gilt - angesichts der Erfahrungen mit "modernisierten" Zentren - der städtebauliche Grundsatz der möglichst kleinteiligen und ökologisch tragfähigen Funktionsmischung einschließlich des Wohnens auch in zentralen Lagen. Daher sind ganz andere Strategien als in der Vergangenheit erforderlich. So bedarf die Berliner City einer eindeutigen räumlichen Begrenzung, um die Cityrandgebiete, die von der Entwicklung der City besonders bedroht sind, etwas zu schützen. Solche Cityrandgebiete sind etwa die Spandauer Vorstadt/Königstadt, die westliche Karl- Marx-Allee und die Luisenstadt. Für diese Gebiete ist eine rigorose Schutzpolitik notwendig: städtebaulicher Denkmalschutz, sozialer Milieuschutz und die Förderung der Initiativen vor Ort. Eine Begrenzung des Zentrums impliziert zugleich eine Absage an die Konzeption eines Citybandes zwischen dem historischen und dem Charlottenburger Zentrum. Cityinduzierte Verdrängungsprozesse müssen eingedämmt werden. Nicht-zentrale Stadtteile dürfen nicht der Cityexpansion geopfert werden. Das erfordert weiter eine Bestimmung subzentraler Entwicklungsgebiete, wie sie etwa unter dem Stichwort "Ringstadt" diskutiert werden, aber auch die stadtteilverträgliche Förderung vorhandener und neu zu schaffender Subzentren, insbesondere im Ostteil der Stadt. Unbedingt miteinbezogen werden müssen weitere subzentrale Standorte in der Region, am äußeren Autobahn- und Schienenring, vor allem an den Berührungspunkten dieser beiden Ringe.
Daß zum Schutz von Cityrandzonen klassische planungsrechtliche Instrumente allein nicht ausreichen, zeigt vor allem die Geschichte der Spandauer Vorstadt. Dieser Stadtteil war in der Vergangenheit durch eine städtebauliche Barriere zwischen der Dorotheenstadt und der Spandauer Vorstadt relativ geschützt. Folgerichtig zielten die Strategen der zerstörerischen Erneuerung der ungeliebten Vorstadt auf das Aufbrechen dieser Barriere. Dazu kamen Versuche, an strategischen Randpunkten Brückenköpfe der Tertiärisierung zu errichten - so am Oranienburger Tor, am Hackeschen Markt und im Hinterland des Alexanderplatzes, am heutigen Rosa-Luxemburg-Platz. Angesichts der heute allgemein akzeptierten Zielsetzung, die Spandauer Vorstadt strukturell zu erhalten, müssen solche Brückenkopfprojekte als Vorboten der Umstrukturierung unbedingt vermieden werden. Die neuere Entwicklung im Bereich des ehemaligen Passage-Kaufhauses (Tacheles) und bei den Hackeschen Höfen kommt diesem Ziel entgegen. Das bedrohlichste Projekt, das Megaprojekt Alexanderplatz, scheint durch die Überproduktionskrise an Neubauflächen und die enormen unrentierlichen Kosten allein für die unterirdische Neuordnung zumindest kurzfristig entschärft. Über die Zukunft des Kernbereichs der städtebaulichen Barriere zwischen der Spandauer Vorstadt und der City, die Linse im Spreebogen nördlich der Dorotheenstadt, ist noch nicht abschließend entschieden worden. Für die ehemalige Friedrich-Engels-Kaserne, früher Artillerie- bzw. Kaiser-Alexander-Kaserne, wurden nach der "Wende" mehrfach Flächenansprüche angemeldet - seitens der Museumsinstitutionen, aber auch seitens der Humboldt-Universität. Auch als provisorischer Regierungsstandort kam das Gelände ins Gespräch. Die heikle städtebauliche Lage dieses Filetgrundstücks des Berliner Zentrums wurde bislang allerdings noch nicht hinreichend gewürdigt.
Berlin war in der Vergangenheit hinsichtlich der Zentrumsplanung alles andere als bescheiden. Die Planer waren geradezu trunken in ihrer Annahme eines grenzenlosen Zentrumswachstums, für das immer neue Gebiete erschlossen werden müßten. Dies gilt nicht nur für die Zeiten des Kaiserreiches und des Nationalsozialismus, sondern auch für die wenig prosperierende Ära der Weimarer Republik. Die Wachstumsannahme hat sich in jedem Falle als Illusion erwiesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg mußte sich das doppelte Berlin für Jahrzehnte mit zwei sehr geschrumpften Zentrumsbereichen begnügen.
Seit der Wende des Jahres 1989 verfiel die Stadtpolitik und Stadtplanung erneut in eine maßlose Wachstumseuphorie. Insbesondere nach der Entscheidung für die Bundeshauptstadt Berlin wurde ein exorbitanter "Nachholbedarf" an Büroflächen und Einzelhandelsflächen erwartet; Architekten zeichneten ihre Hochhauswälder für diesen fiktiven Bedarf, und private Investoren ließen sich von diesem Fieber anstecken, sie nahmen den erwarteten Boom für bare Realität und kauften in den Euphoriejahren 1991/92 zu entsprechenden Preisen. Besonders verhängnisvoll wirkte sich eine Fehlentscheidung aus: die Zulassung von Baudichten, die das historische und stadtverträgliche Maß bei weitem übersteigen. Dieser historische Fehler wird zu einer grundlegenden Schwächung der überkommenen polyzentralen Struktur Berlins führen: Den vorhandenen Subzentren wird Entwicklungspotential entzogen, die Charlottenburger City wird ohne Not geschwächt, dem geplanten Ringstadtprojekt, der bestechendsten Idee zur Zentrumsentwicklung der Nachwendezeit, wird die erforderliche Entwicklungschance genommen. Die bisherige Planung droht ein kopflastiges Zentrum zu zu fördern, wie es Berlin noch nie gekannt hat, ein Übermaß an Geschoßflächen, das der Stadt schadet,ob diese nun in erheblichem Umfang leerstehen oder alle in Betrieb gehen.
Angesichts dieser Fehlspekulation nahezu aller Akteure muß eine Ernüchterungsplanung trotz der bestehenden Restriktionen eingeleitet werden. Einige der bisherigen Empfehlungen ermöglichen Schritte in Richtung einer maßvolleren Zentrumsplanung: so etwa die Begrenzung der baulichen Dichte, die Bewahrung des baulichen Erbes, auch aus der DDR-Zeit, der Schutz der Cityrandgebiete und die Orientierung auf ein autoarmes Zentrum. Auch stadtökologische Gesichtspunkte müssen stärker Berücksichtigung finden - etwa durch Förderung von Maßnahmen, die das Stadtklima verbessern und zur Energieeinsparung beitragen.
Eines Ernüchterungsschubes bedürfen vor allem jene Planungen, die die Qualitäten des historischen Zentrums am stärksten in Frage stellen. Zu diesen größten potentiellen Fehlplanungen müssen infolge ihrer überzogenen Baudichte, ihrer Wirkungen auf die überkommene Stadt bzw. ihrer Autoorientierung folgende Projekte gerechnet werden:
Das beispiellose Kahlschlag- und Geschichtsentsorgungsprojekt am ehemaligen Marx-Engels- Platz hat dagegen bereits eine erste, wohltuende Ernüchterung erfahren - erinnert sei an den "Verzicht" auf den Abriß des Staatsratsgebäudes, an die Infragestellung des Abrisses des Palastes der Republik und an die konzeptionelle Verlagerung des Außenministeriums auf den Friedrichswerder.
Die politische Abstimmung, Organisation, der Instrumenteneinsatz und das Verfahren der Zentrumsplanung müssen nach den vorliegenden Erfahrungen noch einmal hinterfragt werden. Der Blick in die Geschichte zeigt allerdings, daß die Rolle der Stadt Berlin beim Zentrumsumbau immer sehr schwach gewesen ist - schwach gegenüber den privaten Akteuren in der Kaiserzeit, schwach gegenüber den diktatorischen Einmischungen des Staates in der nationalsozialistischen Zeit, aber auch in der DDR-Zeit. Die Bemühungen um eine starke städtische Zentrumsplanung sind kläglich gescheitert. Dagegen garantierten die Bauordnungen der liberalistischen Ära wenigstens die Disziplinierung privater Akteure, die allerdings im wesentlichen auf eine maximale Traufhöhe, Hofgröße und damit Baudichte begrenzt war. Dieses Mindestregelwerk gestattete immerhin die Sicherung eines relativ gleichgewichtigen Zentrums im Rahmen einer polyzentral sich erweiternden Stadt. Heute muß das Regelwerk dieses Typs bewahrt und um weitere Aspekte ergänzt werden.
Ein zentrales Durchführungsproblem war und ist die Fragmentierung der öffentlichen Administration. Waren schon Abstimmungen innerhalb einer Verwaltung mühsam, so steigerten sich die Schwierigkeiten, wenn mehrere Verwaltungen sich einigen mußten. Zugespitzt wurden die Situation durch parteipolitische und - quer zu den Parteien - fachpolitische Konflikte. Letztere entfalteten sich weniger zwischen der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen und der für Stadtentwicklung und Umweltschutz als zwischen diesen beiden Verwaltungen und der Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe. Die verschiedenen, von unterschiedlichen Verwaltungen betreuten Projekte entwickelten so in der Regel ein Eigenleben, das für eine Steuerung des Zentrumsumbaus wenig hilfreich ist. Das galt auch und in besonderer Weise für das Ringen um eine Verkehrslösung für das Berliner Zentrum. Wenig beachtet wurden die Folgewirkungen der einzelnen Projekte, die Wirkungen auf das jeweilige Umfeld, die Wirkungen auf die vorhandene wie die geplante polyzentrische Struktur der Stadt. Schließlich bleibt auf die prekäre Lage der Berliner Denkmalpflege hinzuweisen, die in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz bislang nicht gerade eine fürsorgliche Heimstatt gefunden hat.
Die politische und fachliche Konkurrenz der Verwaltungen untereinander hat daher den Nachteil, daß konkurrenzbedingte Profilierungsstrategien das Konfliktpotential aufbauschen und die öffentliche Hand im Verhältnis zu den privaten Akteuren schwächen. Sie hat aber den Vorteil, daß Konflikte nach außen hin eher bekannt und damit durch die städtische Öffentlichkeit auch besser beeinflußt werden können.
Das Problem eines fehlenden Zielkonsenses der Berliner Senatsverwaltungen läßt sich in einer großen Koalition aufgrund der unterschiedlichen Grundsatzpositionen nicht angemessen lösen. So war es und wird es kaum möglich sein, in einer solchen politischen Konstellation das Konzept der "kritischen Rekonstruktion der Stadt" in einer flexiblen Form für den gesamten Senat verbindlich zu machen.
Ungeachtet aller politischen Differenzen muß die Organisation der Verwaltung aber auch fachlich modifiziert werden. Angesichts des politischen Zwangs zur Verkleinerung des Senats sollte auf ein eigenständiges Verkehrsplanungsressort verzichtet werden. Auch und vor allem die städtische Verkehrsplanung muß in eine Gesamtplanung des öffentlichen Raums eingebunden werden. Daher sollte sie mit der Stadtentwicklungs- und Umweltplanung zusammengelegt werden. Zugleich muß ernsthaft überlegt werden, ob die Unabhängkeit und Schlagkraft der Denkmalpflege nicht - zusätzlich zu einer Reform des Berliner Denkmalschutzgesetzes - durch eine Verortung beim Kultursenator gestärkt werden kann. Ob ein Superressort Bauen und Wohnungswesen, Stadtentwicklung und Umweltschutz sowie Verkehrsplanung wirklich wünschenswert wäre, muß erst noch im Detail geprüft werden. Auf alle Fälle müßte ein solches Superressort mit wirksamen, aufwendigen Beiratsstrukturen ausgestattet werden, die weiterhin eine Transparenz der Konfliktlagen ermöglichen und auch oppositionellen Standpunkten Raum geben.
Die bisherige Form der Zentrumsplanung - städtebauliche Ideenwettbewerbe, Gutachten, feinkörnige Hauptstadtplanung - hat wesentlich zu einer Verständigung über Einzelfragen der weiteren Entwicklung des Zentrums beigetragen, zugleich aber zwei grundlegende Probleme offengelegt: Die für jedes Zentrum konstitutive Vernetzung der einzelnen Projektstandorte wurde aufgrund der fragmentierten Vorgehensweise vernachlässigt, die Zentrumsstruktur der Region Berlin geriet aus dem Blickfeld, und die Verfeinerung einer Ressortplanung - der Hauptstadtplanung - barg die Gefahr in sich, andere Belange - etwa der Universität, des Wohnens, der Kultur - strukturell zu benachteiligen. Inzwischen scheint diese Gefahr aber gebannt.
Erstrebenswert wäre in jedem Falle ein ressortübergreifender Rahmenplan, ein Zentrenentwicklungsplan, der Haupt- und Subzentren in Abstimmung auch mit dem Land Brandenburg thematisiert, der den - gesamtstädtisch betrachtet - unverträglichen Druck auf das historische Zentrum planerisch abzubauen versucht und der mit einem Kfz- minimierenden Gesamtverkehrskonzept verknüpft wird. In diesen Zentrenentwicklungsplan wäre die Hauptstadtplanung einzubinden. Ein solcher Plan müßte von einer koordinierenden, politisch gestärkten Stabsstelle erstellt werden, die sich zwar mit den konkurrierenden Positionen der beteiligten Sektoralverwaltungen auseinandersetzt, dieser Konkurrenz aber selbst entrückt ist. Die Stabsstelle müßte ihrerseits mit einem Entwicklungsträger zusammenarbeiten, dessen Aufgabenfeld zu erweitern wäre.
Neben der Rahmenplanung wäre eine verbindliche Bauleitplanung für die zentralen Entwicklungsflächen wünschenswert, die zumindest die bauliche Dichte, die Nutzungsmischung und die Stellplatzflächen festzulegen hätte. Für die Cityrandgebiete schließlich sollten Erhaltungverordnungen angewendet werden. Insgesamt wäre ein Planungsverfahren zu verfeinern, das ausreichend flexibel und transparent ist und das die Ost- Berliner Interessen gebührend berücksichtigt.
Die Wiederbelebung des Berliner Zentrums ist weit mehr als eine städtebauliche Aufgabe im engeren Sinne. Welche Funktionen hat das Zentrum zu erfüllen, und wie sollen diese Funktionen räumlich verteilt werden? Diese Kernfragen haben Stadtplanung und Stadtpolitik in historischen Wendezeiten des großstädtischen Berlin immer wieder beschäftigt - so 1871, als Berlin Hauptstadt des Deutschen Reiches wurde, so vor dem Ersten Weltkrieg, als die Erfahrungen mit der liberalistischen Citybildung vorlagen, so in der Weimarer Republik und in der nationalsozialistischen Zeit, so vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit, und schließlich nahezu während der gesamten DDR-Zeit. Nur heute werden diese Fragen kaum gestellt oder unzulässig - auf die Funktion Regierungssitz - verkürzt.
Bis 1945 war das Berliner Zentrum durch ein charakteristisches Nutzungsprofil geprägt. In den einzelnen Zonen dominierte oft eine bestimmte Nutzung, ohne daß diese Zonen in der Regel monofunktional verödeten. Das Einkaufsviertel, das Vergnügungsviertel, das Bankenviertel, das Regierungsviertel, das Hotelviertel, das Zeitungsviertel, das Konfektionsviertel waren mehr oder weniger präzise im Zentrum verortet. In der DDR-Zeit wurde dieses Nutzungsprofil weitgehend zerstört, ohne daß ein gleichwertiger Ersatz entwickelt wurde. Das Zentrum verkümmerte funktional. Ähnliches gilt - vor dem Hintergrund gänzlich anderer gesellschaftlicher Verhältnisse - für das West-Berliner Zentrum. Heute muß sich Berlin bewußt werden, daß die das Zentrum vor 1945 prägenden Funktionen in einem erheblichen Umfang in andere Städte der alten Bundesländer verlagert wurden, und daß deren Rückkehr nur in bescheidenem Umfang stattfinden wird. Die lauthals verkündete Parole "Dienstleistungsmetropole Berlin" war eher ein Wunschtraum, hatte allerdings eine kolossale Wirkung auf Immobilienentwickler. Diese nahmen die Parole für bare Münze und bereiteten den Bau neuer Dienstleistungsräume in erheblichem Umfang vor. Ihre Projekte zeichneten sich angesichts der realen Profillosigkeit des Berliner Zentrums durch eine einzigartige funktionale Monotonie aus: Sie offerierten in erster Linie "luxuriöse" Büroflächen, dann Einzelhandelsflächen, angereichert mit etwas Kultur, Gastronomie und Wohnungen. Mit einem solchen Angebot wird zwar dem Konzept rein monofunktionaler Zonen entgegengetreten, durch die immer gleichen Flächen für unbekannte Nachfrager wird aber eine neue Gleichartigkeit erzeugt. Notwendig wäre dagegen die Förderung eines Nutzungsprofils für das Berliner Zentrum, das von einer neuen Sensibilität und Bescheidenheit getragen wird. Universitätsviertel, Museumsinsel, Regierungsstandorte, Wohngebiete, Einkaufsstraßen, "Kulturmeile" Oranienburger Straße, Zeitungsviertel - die Ansätze einer solchen Profilierung sind ja vorhanden, bei den neuen Retortenprojekten am Potsdamer Platz, Alexanderplatz und am Lehrter Bahnhof wird sie sich allerdings als ungeheuer schwierig erweisen.
Schließlich ist mit Werner Sewing grundsätzlich zu fragen, ob nicht das Festhalten an dem Konzept einer "Geschäftsstadt" mit überwiegender, gleichgeschalteter Büronutzung überholt ist, ja der Idee einer europäischen Stadt mit ihrer Mischung von Funktionen und vielfältigen Lebensformen letztlich widerspricht. Sicher, die Überproduktion von Büroraum ist rezessionsbedingt, aber es ist auch mittelfristig unwahrscheinlich, daß massenhaft "Headquarters" nach Berlin strömen werden. Dazu ist fraglich, ob sich die immer wieder bestätigte Spekulation, daß sich nach einer längeren Durststrecke die erforderliche Nachfrage wieder einstellen werde, auch uneingeschränkt für den Büromarkt der Zukunft gilt. Vor diesem Hintergrund muß es als Versäumnis gewertet werden, daß bislang keine größeren Experimente mit "variablen Bauten" gewagt wurden, "die unterschiedliche Wohn- oder Bürogrundrisse zulassen" (Sewing 1995), Bauten mit einer Flexibilität, wie sie bislang lediglich die "Mietskaserne" aufwies.
Die funktionale Bedeutung eines Zentrums gründet sich allerdings nicht nur auf ein räumlich differenziertes Funktionsprofil. Erforderlich ist weiter der Aufbau eines überregionalen Aufgabenspektrums. In bezug auf Berlin war das nach 1871 vor allem die Hauptstadtfunktion in all ihrer Komplexität. Nach 1918 begann die unbescheidene Suche nach Megafunktionen, die für Berlin eine Nummer zu groß waren - so der Traum der zwanziger Jahre von der Weltstadt Berlin, dann der nationalsozialistische, mörderische Anspruch auf die Welthauptstadt Germania. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Berlin - diesmal unfreiwillig - die Hauptstadt des kalten Krieges. Nach 1989 schien der wiedervereinigten Stadt eine Rolle auf den Leib geschrieben: die der Vermittlerin zwischen West- und Osteuropa. In dieser äußerst schwierigen, aber eminent bedeutsamen Rolle hat Berlin bisher eher versagt - man denke nur an die Auseinandersetzungen über den "Polenmarkt", an die mageren Ergebnisse des kulturellen Austauschs mit osteuropäischen Städten, an das vorherrschende Schweigen der städtischen Öffentlichkeit zum Krieg in Tschetschenien. Das offizielle Berlin blickt weiterhin hauptsächlich nach Westen, tendiert dazu, seine Augen in Richtung Osten zu verschließen. Sicher, die Euphorie der späten achtziger Jahre hat sich verflüchtigt, die Märkte des Ostens sind schwierig, und die Demokratien des Ostens nicht immer überzeugend. Doch die Rolle einer Mittlerin zwischen Ost und West ist ja keine Aufgabe nur für Schönwetterperioden. Und wurde die Entscheidung für Berlin als Hauptstadt nicht auch und gerade mit dieser wichtigen Rolle legitimiert?