Dies ist ein Buch über das historische Zentrum von Berlin, das im Bombenkrieg und danach in der Zeit des Kalten Krieges in großen Bereichen verloren ging, das im geteilten Berlin fast vollständig vierzig Jahre lang Stadtzentrum der Hauptstadt der DDR war und zu diesem Zweck eingreifend verändert wurde und das nun seit der Vereinigung Berlins unter neuen Zielsetzungen umgestaltet wird zum Zentrum der Bundeshauptstadt im vereinten Deutschland.
Keine andere Stadt und kein anderes Zentrum einer Stadt in Deutschland tragen die Spuren der deutschen Teilung und offenbaren zugleich die Probleme der deutschen Vereinigung derart unmittelbar wie gerade Berlin und sein Zentrum.
Die Autoren - Harald Bodenschatz und seine Mitarbeiter Hans- Joachim Engstfeld und Carsten Seifert - sind sich dessen zutiefst bewußt. Ihrer Auffassung nach kann es und darf es nicht darum gehen, das verlorene Berliner Zentrum durch Rückbau in die Vergangenheit vor dem Krieg und damit auch vor der DDR wiedergewinnen zu wollen. Vielmehr gehe es darum, nach Lösungen zu suchen, die es gestatten, die Resultate der jüngsten Geschichte beim Weiterbau der Stadt in die Zukunft kritisch-kreativ zu verkraften. Folgerichtig werden - entgegen der bisherigen Praxis der Stadtentwicklung Berlins in den zurückliegenden Jahrhunderten, die immer wieder auf partielle Zerstörung vorhandener baulicher Substanz und städtischer Identität hinauslief - Anforderungen an ein Zentrum mit Zukunft formuliert, die auf einen ausgewogenen Umgang mit dem baulichen Erbe und den daran geknüpften Erinnerungen, einschließlich denen der DDR, orientieren, damit Geschichte ablesbar und verständlich bleibt. Klare Worte werden daher gesprochen gegen die Tendenzen einer anti-ost gerichteten Abrißideologie, gegen eine Politik einseitiger westlicher Dominanz bei der Herausbildung und Durchsetzung städtebaulicher und architektonischer Konzeptionen, wie besonders zu sehen bei den Konzeptionen der sogenannten 'kritischen Rekonstruktion' und der 'Berlinischen Architektur', sowie gegen die - trotz Stadtforum und Architekturgesprächen - von den Senatsverwaltungen geübte Geringschätzung einer breiten fachlichen und öffentlichen Diskussion über Grundfragen der Funktion, Struktur und Gestalt der Stadt, nicht zuletzt über die künftige Rolle Berlins in Deutschland und Europa.
Die Haltung der Autoren zur notwendigen Verständigung von Politikern, Fachleuten und Bürgern aus Ost und West über die Einheit in Berlin zeigt sich ganz besonders in ihren Vorschlägen zum Umgang mit dem Zentrumsband, das heißt mit jenem zentralen Stadtinnenraum von der Spreeinsel bis zum Alexanderplatz, den die DDR als Kette linear gereihter räumlicher Bereiche zwischen den auf die Stadtmitte achsial gerichteten Straßen Unter den Linden und Karl-Marx-Allee/Frankfurter Allee geschaffen hat. Die Autoren sehen in diesem Zentrumsband heute das reale Symbol für die innerstädtische Vereinigung von Ost und West in Berlin.
In der Tat: Mit der Herausbildung des großen zusammenhängenden und mehrfach gegliederten Raumes von der Spreeinsel bis zum Alexanderplatz hat die DDR auf ihre Art eine Entwicklung vollzogen, die seit Beginn der Kaiserzeit immer wieder geplant, aber nicht verwirklicht worden war, nämlich die Herstellung einer verkehrstechnisch leistungsstarken und zugleich auch räumlich attraktiven Ost-West-Verbindung durch die historische Stadtmitte von Westen her, bekannt geworden als 'Ost-West-Achse'. Die DDR verwirklichte diese Idee auf der Grundlage der Kriegszerstörungen und der veränderten Eigentumsverhältnisse hinsichtlich Grund und Boden sowie mit dem erklärten Ziel, den Berliner Osten mit der Stadtmitte, der Spreeinsel und der Straße Unter den Linden zu verbinden: praktisch und symbolisch. So baute sie die als 'Zentrale Achse' begriffene Ost-West-Achse von Osten her - entlang der Frankfurter Allee, die in den 50er Jahren als Stalinallee im Aufbau war - in die Stadtmitte. Bei allem Verlust an historischer Substanz und Erinnerung, der durch diesen städtebaulichen Umgestaltungsprozeß in der Ruinenlandschaft des
Krieges tatsächlich eingetreten ist - Verlust des Schlosses und fast der gesamten mittelalterlichen Altstadt - so ist doch auch der sinnstiftende Gewinn zu erkennen und zu behaupten, der darin besteht, die aus der Stadtentwicklung Berlins herrührende einseitige Ausrichtung der Stadt vom Schloß in Richtung Westen - stets mit der Bürgerstadt Berlin und dem Berliner Osten im Rücken des Schlosses - endlich überwunden und eine räumliche Verbindung zwischen Ost und West am `Drehpunkt' der Stadt hergestellt zu haben, die gerade heute für die Vereinigung von Ost und West in Berlin weit bedeutsamer und auch wirkungsvoller ist als die baukörperlich monumentale, räumlich aber nicht erlebbare Spange der Regierungsbauten im Spreebogen-Areal.
Gerade mit seinen Darlegungen zur stadträumlichen Dimension der realen gesellschaftlichen Vereinigung von Ost und West in Berlin kann das hier vorliegende Buch einheitsstiftend wirken, sofern seine Leser sich dazu anregen lassen, den wechselwirkenden Zusammenhang von gesellschaftlicher und stadträumlicher Entwicklung historisch konkret zu begreifen. Das wäre auch ganz im Sinne des Herausgebers, der Architektenkammer Berlin.