Einleitung

Wo ist das historische Zentrum von Berlin, der magische Ort, an dem sich Berlin symbolisch verdichtet, der Fixpunkt der Identität der Stadt? Berlin, so die verbreitete Klage, habe kein Zentrum, das Zentrum müsse erst wieder neu bestimmt werden, insbesondere der zentrale Punkt des Zentrums. Vielleicht am Potsdamer Platz, vielleicht am wiedererrichteten Stadtschloß, am Alexanderplatz, am Fernsehturm oder gar am Reichstag? Oder aber am U-Bahnhof mit dem beschwörenden Namen "Stadtmitte"? Die Schwierigkeiten, das Zentrum der Stadt auszumachen, sind nicht neu. Die Geschichte der Berliner Städtebaus hat die Fixierung des Zentrums außerordentlich erschwert. Die Folge war die Beschwörung mehr oder weniger eingebildeter zentraler Punkte, die symbolische bzw. planerische Aufladung isolierter Orte.

Die Versuche, das historische Zentrum nach der Vereinigung Berlins wieder neu zu bestimmen, zu bauen und zu nutzen, waren und sind mit einer mehrfachen Hürde konfrontiert: Durch die flächenhafte Abwicklung zentraler Funktionen der DDR war eine funktionale Leere entstanden, deren Gefüge, Bedeutung und Preis nicht mehr kalkulierbar waren. Diese Unsicherheiten wurden durch eine partielle bauliche Leere des Zentrums verstärkt. Zudem war das gesellschaftliche Wissen um die Städtebaugeschichte des Zentrums und dessen Besonderheiten weitgehend verlorengegangen.

Vor diesem Hintergrund war seit 1989 eine deutliche "Ostwanderung" der Aufmerksamkeiten und Aktivitäten festzustellen: Während kurz nach dem Fall der Mauer der Potsdamer Platz im Zentrum der Aufgeregtheiten stand, rückten bald die Dorotheen- und die nördliche Friedrichstadt ins Rampenlicht, dann das ehemalige Schloßareal und schließlich der Alexanderplatz. Natürlich hatte die erste "Station", der Potsdamer Platz, auch eine solide materielle Basis: Dort war eine baufähige Brache, dort waren die Eigentumsverhältnisse relativ klar. Die "Ostwanderung" der Aufmerksamkeiten verdeutlichte die Dominanz einer "westlichen" Sicht- und Handlungsweise, die sich langsam in Richtung Osten vorantastete.

Die Diskussionen und Aktivitäten zur Erneuerung des historischen Zentrums sind allerdings bis heute seltsam fragmentiert und isoliert geblieben. Städtebauliche Ideen- und bauliche Realisierungswettbewerbe für private wie öffentliche Projekte haben einen planerischen Flickenteppich hervorgebracht, dessen Gebrauchsfähigkeit höchst fragwürdig erscheint. Die möglichen Stolperstellen können aber nur wahrgenommen werden, wenn das Zentrum in seiner Vernetzung nach innen wie außen thematisiert wird. Diese Vernetzung ist nicht technokratisch zeitlos zu bestimmen, sondern Ausdruck einer jahrhundertelangen Entwicklung.

Was aber bringt der Blick zurück für eine zukunftsgewandte Planungspolitik überhaupt? Ein Mißverständnis wird immer wieder neu geboren: Der Blick zurück diene dazu, die baulichen Verhältnisse von gestern wiederherzustellen. Schon die Frage nach dem "Wann" des "Gestern" zeigt die Schwierigkeiten. Ein solches Verständnis greift zu kurz und ignoriert den Reichtum des städtebauhistorischen Erbes. Es geht um viel mehr, zuallererst um das Verständnis des Zentrums mit seinen Besonderheiten, um das Wissen seiner Vorzüge und Mängel, der unterschiedlichen Definitionen dieser Vorzüge und Mängel, der Versuche, an solchen "Mängeln" und "Vorzügen" zu arbeiten, der Ergebnisse dieser Versuche und deren Folgen, kurz: Es geht um das Verständnis des Zentrums von heute.

Ohne eine Rekonstruktion der Städtebaugeschichte, der Deutungsgeschichte und der Planungsgeschichte des Berliner Zentrums wird jeder Versuch, ein leistungsfähiges neues Zentrum aufzubauen, ein Lotteriespiel bleiben. Erst das Wissen um die Struktur des Berliner Zentrums ermöglicht Vorschläge zu dessen Weiterentwicklung, die über die oberflächliche Form hinausgehen. Solche Vorschläge können die kritische Rekonstruktion zum Beispiel der stadträumlichen Verhältnisse vor 1945 wie auch die Beachtung der Verhältnisse nach 1949 nahelegen. Es gibt keine deterministische Schlußfolgerung aus der Beschäftigung mit der Geschichte. Der Blick zurück dient aber zu einer Strukturierung der Debatte, zur Reduzierung der gestalterischen Möglichkeiten, zur Findung von Leitlinien und Rahmensetzungen, die aber immer auch die Erfordernisse an ein Zentrum heute reflektieren müssen.

Doch was sind die historischen Besonderheiten des Berliner Zentrums, und was bedeuten sie für den Prozeß der Zentrumserneuerung von heute und morgen? Dieser Fragenkomplex ist der Gegenstand dieses Buches. Dabei spielen folgende Thesen eine Schlüsselrolle:

Seit dem Dreißigjährigen Krieg läßt sich eine "Westwanderung des Zentrums" beobachten. Wichtigstes Ergebnis war der Gegensatz zwischen der östlichen "Altstadt" und der eigentlichen City im Bereich der Dorotheen-/Friedrichstadt. Die Überwindung dieses Gegensatzes hat die Planungsdiskussion seit der Erhebung Berlins zur Reichshauptstadt bis in die DDR-Zeit hinein geprägt. Den Strategien gegen die "Westwanderung" seit 1871 war vor allem nach der Spaltung der Stadt ein gewisser Erfolg beschieden. Heute muß das Gesamtzentrum wieder neu ausbalanciert werden, ohne den östlichen Bereich erneut zu benachteiligen.

Die historische Stadt bzw. das historische Zentrum hatte - zumindest bis 1945 - keinen eindeutigen "zentralen Punkt". Diese nicht-zentralistische Tradition war ein Vorteil und kein Nachteil. Sie sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt, sondern unbedingt fortgeführt werden.

Das Rückgrat des Zentrums bildet bis heute ein System von Ost-West-Hauptstraßen, die Straßenzüge Potsdamer Platz - Alexanderplatz und Pariser Platz - Alexanderplatz. Dieses System war historisch keineswegs stabil und planerisch akzeptiert.

Der Zentrumsumbau der DDR-Zeit kann nicht schlicht als "sozialistisch" definiert, isoliert und damit der Diskussion entzogen werden, er ist eine mögliche, wenn auch nicht notwendige Fortsetzung der Planungen seit 1871. Seine Ergebnisse müssen nüchtern beurteilt und weitmöglichst in den Zentrumsumbau eingebunden werden. Die Vereinigung der Stadt darf nicht als archaische städtebauliche Entsorgung ungeliebter DDR-Geschichte erfolgen.

Der Umbau des Berliner Zentrums wurde in erster Linie durch die realen wie eingebildeten Erfordernisse des Ost-West-Massenverkehrs vorangetrieben. Dabei spielte seit den späten zwanziger Jahren die Orientierung an der autogerechten Stadt eine Schlüsselrolle. Diese Orientierung führte zur weitgehenden Zerstörung der überkommenen städtebaulichen Figur der "Passage mit Halte-Plätzen" zugunsten einer zentrumsunverträglichen "Transitzone ohne Halte- Plätze". Diese Orientierung ist heute grundsätzlich zu hinterfragen.

Zur Diskussion der strukturellen Besonderheiten des historischen Zentrums sollten - vor dem Hintergrund der Geschichte wie der Situation heute - mehr oder minder klar abgrenzbare Teilzentren unterschieden werden:

Das "eigentliche" Zentrum von Berlin, die "City", konzentrierte sich seit der Kaiserzeit bis 1945 im Bereich der Dorotheen-/Friedrichstadt.

Dagegen blieb die Altstadt bis 1945 ein zweitklassiges Zentrum. Sie wurde in der veröffentlichten Wahrnehmung in der Regel mit dem Teil des historischen Zentrums identifiziert, der durch die Memhardtschen Befestigungsanlagen des 17. Jahrhunderts eingeschlossen war: also mit der auf das Mittelalter zurückgehenden Doppelstadt Berlin/Cölln, der an diese angrenzenden Schloßlandschaft sowie den ersten Stadterweiterungen nach dem Dreißigjährigen Krieg, dem Friedrichswerder und dem Stadtteil Neucölln am Wasser. Diese (ehemalige) Altstadt wurde im Krieg weitgehend zerstört und seit den sechziger Jahren auf neuem Stadtgrundriß zum erstklassigen Zentrum der Hauptstadt der DDR ausgebaut. Es ist zu vermuten, daß der Bereich der ehemaligen Altstadt in Zukunft wieder hinter die Dorotheen-/Friedrichstadt zurücktreten wird.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg zeigten sich die ersten Ansätze eines neuen Zentrums weit im Westen im Dunstkreis der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, in der damals noch selbständigen Stadt Charlottenburg. Dieser in der Weimarer Republik weiter aufstrebende Bereich wurde nach der Spaltung Berlins als "West-City" inszeniert.

Nach der Zerstörung der Altstadt durch Krieg und Neuaufbauplanung blieb vom nicht- herrschaftlichen Berlin nur mehr ein Stadtteil übrig: die Spandauer Vorstadt. Zusammen mit den Resten der in der Kaiserzeit erneuerten östlichen Königstadt wird dieser Stadtraum zwischen Alexanderplatz und nördlicher Friedrichstraße in Zukunft die Rolle der verschwundenen Altstadt übernehmen.

Wichtig sind weiter die zahlreichen Versuche zur Stabilisierung einer Zentrumserweiterung westlich der Dorotheen-/Friedrichstadt, die seit der Kaiserzeit vor allem durch die Planungen für den Bereich um den Potsdamer Platz, den Spreebogen und den Bereich am Lehrter Bahnhof sowie durch umfassende Projekte für Nord-Süd-Achsen und die zentralistische Neuordnung des Berliner Bahnhofssystems gekennzeichnet waren.

Schließlich müssen noch die Subzentren Berlins Erwähnung finden, die eine der bedeutendsten Errungenschaften des Berliner Städtebaus zum Ausdruck bringen: die polyzentrische Struktur der Gesamtstadt. Bis heute erinnern zahlreiche Rathäuser aus der Kaiserzeit an diese Tradition. Auch nach der Bildung der Gemeinde "Groß-Berlin" am 1. Oktober 1920 brach diese Tradition nicht ab: Einige Subzentren erlebten selbst in der Weimarer Republik einen neuerlichen Entwicklungsschub - etwa durch den Bau großer Kaufhäuser und Kulturbauten. In der Nachkriegszeit wurde die polyzentrische Struktur vor allem im Westteil der Stadt weiter gestärkt.

Die folgende Darstellung konzentriert sich auf das historische Zentrum von Berlin. Damit soll keineswegs die Bedeutung des Charlottenburger Zentrums sowie der Subzentren für die Zukunft Gesamt-Berlins in Frage gestellt werden. Die Darstellung wird durch einen Überblick über die Gesamtentwicklung des historischen Zentrums seit der Kaiserzeit eröffnet, es folgen vertiefende Abschnitte über die wesentlichen Bausteine des historischen Zentrums - die Altstadt, die Dorotheen- und Friedrichstadt, die Spandauer Vorstadt und Königstadt sowie die Ansätze für eine Zentrumserweiterung West. Quer zu diesen stadträumlichen Bausteinen steht der Abschnitt über das städtebauliche Regelwerk. Er leitet zu den abschließenden "Perspektiven" über, die ein zusammenfassendes Resümee mit Vorschlägen für die weitere Entwicklung wagen.

Mit Ausnahme der "Perspektiven" folgen alle Abschnitte einer doppelten Logik: Sie sind als Bausteine Teile einer Gesamtargumentation, können aber jeweils auch für sich gelesen werden. Zur leichteren Orientierung im Gefüge des Berliner Zentrumsgrundrisses werden im Anhang Karten dokumentiert, die den Zustand des Zentrums 1748, um 1910, um 1940 und um 1990 darstellen.

Der Blick zurück zeigt, daß es im wesentlichen immer wieder die gleichen Orte sind, die Gegenstand von Umbauplanungen waren und es oft heute wieder sind. Das sind natürlich keine beliebigen Orte, sondern Räume, die aufgrund ihrer strukturellen Bedeutung als Hindernisse oder Motoren der Zentrumsentwicklung wahrgenommen wurden. Als flächenhafte Hindernisse galten etwa der Fischerkietz, die Spandauer Vorstadt/Königstadt, Alt-Berlin insgesamt, die "Linse" zwischen S-Bahntrasse und Spree westlich der Museumsinsel. Als verkehrliches Nadelöhr wurden die Königstraße, der Alexanderplatz, der Spittelmarkt, der Mühlendamm, die Gertraudenstraße mit Petriplatz und Cöllnischem Fischmarkt, der Potsdamer Platz sowie diverse Brücken im Zentrum betrachtet. Als neue Entwicklungspole des Zentrums galten - neben den flächenhaften Hindernissen und einigen Nadelöhren - noch das Gebiet um den Bahnhof Friedrichstraße, das Gebiet um den Lehrter Bahnhof, der Platz der Republik, das Gebiet westlich des Potsdamer Platzes und der Mehringplatz. Als ständig neu zu gestaltende Plätze bzw. Freiräume wären - neben den verkehrlichen Nadelöhren und einigen Entwicklungspolen - auch der Lustgarten, der Schloßplatz, der Werdersche Markt, der Westteil der Straße Unter den Linden, der Pariser Platz und der Gendarmenmarkt zu nennen.

Eine Auseinandersetzung mit der Planungs- und Städtebaugeschichte der Schlüsselorte des Berliner Zentrums führt zu den historischen Strategen des Zentrumsumbaus, zu den herausragenden Architekten und Planern, deren Namen mit denen der heute gehandelten Heroen einer dogmatisch verstandenen "Berlinischen Architektur" nur partiell übereinstimmen. Dazu gehört zuallererst der Begründer der uns heute geläufigen Figur der Berliner Altstadt: Johann Gregor Memhardt, der bedeutendste Architekt des "Großen Kurfürsten" Friedrich Wilhelm; dann sein Schüler Joachim Ernst Blesendorf sowie Johann Arnold Nering; Heinrich Behr, Andreas Schlüter, Jean Baptiste Broebes und Jean de Bodt, Architekten des Kurfürsten Friedrich III. und späteren Königs Friedrich I.; Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, Architekt Friedrichs II.; Karl Friedrich Schinkel, Architekt unter Friedrich Wilhelm III.; August Friedrich Wilhelm Orth, der bedeutendste Planer der frühen Kaiserzeit; Hermann Jansen, der große Planer am Ende der Kaiserzeit; Bruno Möhring und Otto Kohtz, die Streiter für ein Zentrum mit Hochhäusern zu Beginn der Weimarer Republik; Ludwig Hilberseimer, der Vordenker eines radikal modernisierten Zentrums gegen Ende der zwanziger Jahre; Martin Wagner und Martin Mächler, die Strategen des Zentrumsumbaus in der späten Weimarer Republik; Richard Ermisch, der Planer einer Umgestaltung der Altstadt, und Albert Speer, der Planer eines neuen Superzentrums im Westen des historischen Zentrums, in der nationalsozialistischen Ära; Richard Paulick, Hermann Henselmann, Gerhard Kosel und Joachim Näther in der DDR-Zeit.

Das vorliegende Buch versteht sich als Beitrag zur Diskussion um den Zentrumsumbau seit 1989. Nicht die Städtebaugeschichte, sondern die Besonderheiten des historischen Zentrums vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen stehen daher im Vordergrund der Darstellung. Es geht nicht so sehr um Einzelheiten, sondern um Strukturen, deren Kenntnis für die heutige Diskussion und Praxis unverzichtbar ist. Die einzelnen Teilgebiete des historischen Zentrums können dabei in keiner Weise so detailliert präsentiert werden, wie das bei den vorliegenden, sehr lesenswerten Gebietsmonographien möglich war. Erwähnt seien beispielsweise die Darstellungen zum Nikolaiviertel (Günter Stahn 1991), zur Museumsinsel (Renate Petras 1987), zum Bereich des Stadtschlosses (Förderverein Berliner Stadtschloß 1993), zum Friedrichswerder (Eva Schachinger 1993), zum Gendarmenmarkt (Laurenz Demps 1987, Peter Goralczyk 1987), zur Wilhelmstraße (Laurenz Demps 1994), zum Platz der Republik (Platz der Republik 1992) und zum zentralen Bereich (Pitz u. a. 1984). Das gleiche gilt für die Darstellung der Wettbewerbe (neben den offiziellen Publikationen zur Ausschreibung und zu den Ergebnissen der Wettbewerbe unter anderem folgende Bücher: Verein "Entwicklungsgemeinschaft Alexanderplatz": Alexanderplatz - Städtebaulicher Ideenwettbewerb, 1994; Bundesbaudirektion Berlin: Museumsinsel Berlin - Wettbewerb zum Neuen Museum, 1994; Felix Zwoch: Hauptstadt Berlin - Stadtmitte Spreeinsel - Internationaler Städtebaulicher Ideenwettbewerb 1994, 1994). Schließlich muß noch auf die sorgfältige Dokumentation der Projekte für Büro- und Geschäftshäuser von Annegret Burg (herausgegeben von Senatsbaudirektor Hans Stimmann) hingewiesen werden, die unter dem etwas irreführenden Titel "Berlin Mitte - Die Entstehung einer urbanen Architektur/Downtown Berlin - Building the Metropolitan Mix" (1995) erschienen ist. Vorwiegend dokumentarischen Charakter haben ebenfalls das Sonderheft "Berlin" der Zeitschrift Domus (1995) sowie das in der Reihe "World Cities" von Alan Balfour herausgegebene Buch "Berlin" (1995).

Die Betonung der strukturellen Besonderheiten des Berliner Zentrums ist natürlich nicht neu. Erinnert sei nur an die grundlegenden Arbeiten von Hermann Schmidt (1909), Willy Lesser (1915), Hans Borstorff (1948) und Alfred Schinz (1964). In neuerer Zeit haben sich vor allem Bruno Flierl und Dieter Hoffmann-Axthelm dieses Gegenstandes immer wieder angenommen. Die Diskussion um die Besonderheiten des Berliner Zentrums und um die Konsequenzen für die Planung heute und morgen kann nicht im Monolog, sondern nur im Dialog, im konstruktiven Streit erfolgen. Das vorliegende Buch versteht sich als Beitrag zu diesem notwendigen Streit.

Schließlich bleibt eine weitere Einschränkung zu machen: Das Buch spiegelt auch das Herantasten der Autoren an das historische Zentrum wider. Bereits in meinem 1987 erschienenen Buch "Platz frei für das neue Berlin!" habe ich mich mit dem Zentrum beschäftigt - allerdings räumlich und fachlich fragmentiert und auf den Zeitraum 1871 bis 1945 beschränkt. Die publizierten Arbeiten seit der Wende sind in der Literaturliste verzeichnet. Diese "Vorarbeiten" werden im vorliegenden Buch erstmals in einen größeren Zusammenhang gestellt sowie mit tatkräftiger Hilfe meiner Kollegen und Mitstreiter Hans-Joachim Engstfeld und Carsten Seifert korrigiert, aktualisiert und bereichert. Carsten Seifert hat vor allem das Kapitel über die Dorotheen-/Friedrichstadt ausgearbeitet, Hans- Joachim Engstfeld das Kapitel über die Westerweiterung des Zentrums und - in Teilen - das Kapitel über die Spandauer Vorstadt/Königstadt. Daß im Buch ein Schwerpunkt auf die (ehemalige) Altstadt gelegt wird, ist keine Schrulle: Dieser Teil des historischen Zentrums ist seit 1871 in einer besonderen Weise Gegenstand der Diskussion und Planung des Zentrumsumbaus gewesen, und dieser Teil stellt die schwierigsten Aufgaben für den Zentrumsumbau von morgen, Aufgaben, die noch nicht einmal ansatzweise mit der notwendigen Sorgfalt in Angriff genommen worden sind.

Die Autoren selbst sind natürlich keineswegs frei von der berlintypischen Hektik und den Veränderungen, Neuentdeckungen und Neubewertungen, die Berlin seit 1989 in Atem halten und manches Detail schnell veralten lassen. Man denke nur an die Verortung des Außenministeriums und die Debatte um das ehemalige Staatsratsgebäude. Das folgende Buch demonstriert daher auch den erzwungenen Mut zur Lücke, zu Positionen, die nicht völlig abgesichert sind, zu Darstellungen, die durch weitere Kurswechsel der Akteure eine überraschende neue Wendung erfahren können. Dennoch kommt es - wie die meisten wissenschaftlichen Publikationen - eigentlich "zu spät" - zu spät angesichts der bereits erfolgten Entscheidungen und Aktivitäten. Nichtsdestoweniger bleibt es dem Prinzip Hoffnung verpflichtet, daß zumindest noch Kurskorrekturen möglich sind.

Für Kritik, Anregungen, Unterstützung und Ermunterung danken die Autoren Ursula Bodenschatz, Jörn Dargel, Hartwig Dieser, Dorothee Dubrau, Fatih Erkut, Friedhelm Fischer, Bruno Flierl, Johannes Geisenhof, Ulrike Griebener, Hartmut Häußermann, Simone Hain, Christine Hannemann, Almut Jirku, Lothar Juckel, Erich Konter, Engelbert Lütke Daldrup, Andreas Matschens, Gertrud Napiontek, Birgit Nikoleit, Mike Petersen, Anja Pfaff, Erhart Pfotenhauer, Gisbert Preuß, Dieter Radicke, Wolfgang Schäche, Bernhard Schneider, Annalie Schoen, Klaus Dieter Schulz, Werner Sewing, Achim Sichter, Hans Stimmann, Dorothea Tscheschner, Max Welch Guerra und Andreas Wilke. Besonderer Dank gilt Nicolette Baumeister, ohne deren engagierten Einsatz das Buch nicht hätte erscheinen können.

Harald Bodenschatz, im Juni 1995